Von Juli Zeh hatte ich vor einiger Zeit „Neujahr“ gelesen, das mich nicht ganz überzeugen konnte. Nun stand im Lesekreis dieser Roman von ihr auf dem Programm und ich war gespannt, was mich diesmal erwarten würde.

Der Inhalt

Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht. (© btb Verlag)

Meine Meinung

Leider fand  ich den Roman streckenweise ziemlich langweilig. Am Anfang war ich sehr angetan: Die Beobachtung, wie der Lebensgefährte zum radikalen Klimakämpfer und Pro – Coronamaßnahmenkämpfer wird, fand ich sehr gut beobachtet. Leider wurde das Buch für mich dann zusehends schwächer. Einen bekennenden Nazi als Nachbarn zu haben, das fand ich noch interessant, aber was Juli Zeh dann daraus gemacht hat, hat mich nicht fesseln können. Das ganze Dorfsetting war mir zu konstruiert: Das schwule Männerpaar, der rassistische Nachbar auf der einen Seite und Gote, der Nazi auf der anderen – letztere dann doch beide mit einem weichen Kern und eigentlich ganz nett, das hat mich nicht überzeugen können. Die anderen Dorfbewohner:innen kamen, bis auf die Ausnahme der alleinerziehenden Mutter, kaum vor und ein paar mehr von den 280 anderen hätte ich schon gerne auch noch kennengelernt. Dass Gote auch noch einen Hirntumor hat und Doras Vater ganz zufällig DIE Koryphäe der Neurologie ist, das war mir dann zu viel.

Insgesamt hatte ich den Eindruck, daß sich Juli Zeh nicht so richtig entscheiden konnte, welches Thema sie denn nun eigentlich in den Mittelpunkt stellen will: Die Spaltung der Gesellschaft, die spätestens mit Corona augenfällig wurde, den Konflikt zwischen Stadt und Land, die beängstigenden Tendenzen zu Nationalismus und Rassismus. So hat sie sich entschieden, alles abzuhandeln und das alles ihrem Handlungspersonal aufgeladen, ohne so richtig in die Tiefe zu gehen. Genau so war es mir auch bei „Neujahr“ ergangen, das für mich merkwürdig in der Schwebe blieb, auch wenn es wenigstens noch spannend gewesen war.

Juli Zeh ist von Haus aus Juristin und arbeitet auch als Richterin. Bei dieser Arbeit bekommt sie sicher das Leben in seiner ganzen Bandbreite mit und muss in ihren Entscheidungen alle Aspekte berücksichtigen. Vielleicht liegt es daran, daß sie eine Objektivität zu wahren versucht, die in einem Roman für meinen Geschmack auf Kosten der Spannung und Glaubwürdigkeit geht. Mir ist das auch schon bei den Romanen von Bernhard Schlink aufgefallen, der ja ebenfalls Jurist ist – nach dem „Vorleser“ konnte mich nichts mehr überzeugen und beim letzten Buch das ich von ihm gelesen habe, „Die Enkelin“, ging es mir bei der Lektüre ganz ähnlich wie jetzt bei diesem Roman.

Fazit: Juli Zeh beobachtet genau und das ist ganz sicher eine Qualität dieses Romans. Trotzdem wurde ich leider nicht, wie die auf der Rückseite des Buches zitierten Literaturkritiker:innen, mitten ins Herz der deutschen Überforderung getroffen, obwohl ich diese durchaus auch spüre. Ebenso blieben bei mir Witz und Mitgefühl weitgehend auf der Strecke.

In dieser Leseprobe können Sie sich einen Endruck vom Stil des Buches machen

Hier können Sie einen Beitrag von aspekte nachschauen, in dem Juli Zeh über ihren Roman spricht (Video, 6:56 Minuten)

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