Client: Selma Merbaum

Auf diese Autorin wurde ich letztes Jahr aufmerksam, meine Mutter erzählte mir von ihr und zeigte mir ein Gedicht, das ihr sehr gut gefallen hatte. Am 5.2.2024 jährte sich der Geburtstag der so jung verstorbenen jüdischen Dichterin zum einhundertsten Mal und das war der Anlass für mich, mir den hübsch gestalteten Band aus dem Reclam Verlag zu bestellen, in dem sämtliche Gedichte aus dem Album Blütenlese versammelt sind.

Selma Merbaum, wie sie eigentlich heißt, wurde am 5.2.1924 in Czernowicz geboren. Ihr Vater Max Merbaum starb früh und ihre Mutter heiratete erneut, es gib jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass ihr 2. Mann Leo Eisinger Selma adoptiert hätte. Schon mit 15 Jahren schrieb sie erste Gedichte, auch dann noch, als sie mit Mutter und Stiefvater 1941 ins Ghetto verbracht wurde, das letzte datiert vom Dezember 1941. Im Sommer 1942 wurde die Familie dann ins Zwangsarbeitslager Michailowka deportiert, in dem die Häftlinge Schwerstarbeit verrichten mussten. Völlig entkräftet starb Selma Merbaum im Dezember 1942 mit gerade einmal 18 Jahren am Fleckfieber.

Sie hinterließ ein schmales Album mit 57 Gedichten, die sie alle mit Füller geschrieben und ihrem Freund Leiser Fichmann gewidmet hat. Eine Abbildung die einen Ausschnitt aus dem zutiefst berührenden Gedichtes „Poem“ zeigt, ist auf der Seite von Yad Vashem zu sehen. Bis zur Veröffentlichung sollte das Album jedoch noch einen abenteuerlichen Weg nehmen: Vor ihrer Deportation übergab Selma das Album zunächst an eine Frendin, die es an Fichmann weiterreichte. Als dieser sich jedoch entschied, nach Israel zu fliehen, gab er es an die Freundin zurück und über weitere Freunde gelangte es nach Israel, wo es lange Jahre in einem Banksafe lag. Erst 1968 erschienen sie das erste Mal in Israel, allerdings nur in einem Privatdruck, waren sie doch in der Sprache der Mörder geschrieben. 1980 jedoch konnten sie auch in Deutschland erscheinen, dank der Fürsprache von Hilde Domin, die den Journalisten Jürgen Serke auf die Gedichte hingewiesen hatte. Der damalige Titel lautete „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“.

Mir haben die Gedichte wirklich gut gefallen, viele davon sind stimmunsvolle Naturgedichte. Da gibt es zum Beispiel das „Lied der Freude“, in dem die Sehnsucht der Natur nach dem Frühling ganz wunderbar beschrieben wird. Oder das Gedicht, das meine Mutter mir gab „Sonne im August“, in dem der friedliche Sommertag plötzlich durch den Schrei einer Elster gestört wird. Besonders berührt hat mich das Gedicht „Poem“, in dem die junge Frau ihren Lebenshunger hinausruft und sich fragt, warum die Kanonen brüllen und so viele Menschen sterben müssen. Und auch das letzte der Sammlung, „Tragik“ aus dem Dezember 1941. Es sind nur vier Zeilen:

Das ist das schwerste: Sich zu verschenken
und zu wissen, dass man überflüssig ist,
sich ganz zu geben und zu denken,
daß man wie Rauch ins Nichts zerfließt.

Darunter steht mit roter Handschrift geschrieben: „Ich habe keine Zeit gehabt zuendezuschreiben.“

Ein Bändchen, das ich immer wieder zur Hand nehme, um hineinzuschauen. Immer wieder denke ich auch darüber nach, was wir von dieser Dichterin wohl noch hätten lesen dürfen, wäre sie nicht der Shoah zum Opfer gefallen.

Ein ausführliches Nachwort ordnet das Werk ein, bedauerlicherweise wird jedoch das Geburtsdatum falsch angegeben. Und ich hätte es schön gefunden, wäre das Buch unter dem wirklichen Namen Selma Merbaum veröffentlich worden. Trotzdem: Große Leseempfehlung!

Wenn Sie Lust bekommen haben, die Gedichte von Selma Merbaum kennenzulernen, finden Sie verschiedene Buch- und Tonausgaben auf der Seite des Vaihinger Buchladens. Der Link führt direkt zu den Titeln im Webshop.