Ein Interview mit Bernhard Schlink im Crismon reizte mich, es doch wieder einmal zu versuchen mit einem Buch von ihm. Und die Thematik, das immer noch schwierige Zusammenleben zwischen Ost und West sowie immer deutlicher zu Tage tretende rechte Tendenzen taten ein übriges. Danke dem Vaihinger Buchaden, der mir das Leseexemplar überlassen hat.
Ich greife gerne auf die Inhaltsangabe des Diogenes Verlages zurück: „Im Sommer 1964 verlieben sich eine Studentin aus dem Osten und ein Student aus dem Westen ineinander. Er verhilft ihr zur Flucht. Erst nach ihrem Tod entdeckt der Siebzigjährige, was seine Frau ihm ein Leben lang verschwiegen hat: Sie hatte damals eine Tochter zurückgelassen. Er tut, was sie immer wollte, aber nicht schaffte, er sucht nach ihr. Die Suche wird zu einer Reise in die Vergangenheit und einer Begegnung mit den Wunden und Narben, die DDR, Wende und Anpassung des Ostens an den Westen hinterlassen haben. Als er die Tochter findet, lebt sie verheiratet in einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land. Ihre vierzehnjährige Tochter freut sich, dass auf einmal ein Großvater in ihr Leben tritt, wie er sich über eine Enkelin freut. Aber seine Welt ist ihr so fremd wie ihm die ihre. Kann er sie erreichen?“ (© Diogenes Verlag)
Ich gebe es zu: Ich tat mich schwer mit dem Buch und hätte es beinahe abgebrochen. Die Geschichte an sich finde ich durchaus spannend, aber vor allem in den ersten beiden Teilen, als es um Birgits Vergangenheit und Kaspars Trauer geht, kam ich einfach den Figuren nicht nahe. Obwohl von großen Emotionen erzählt wird, erreichten sie mich nicht. Ich mag eigentlich einen sachlichen Stil, aber hier hat er für mich einfach nicht gepasst. Das fand ich enorm schade, denn hier kommen Aspekte im Umgang zwischen Ost und West zur Sprache, die vieles im schwierigen Verhältnis zueinander deutlich machen. Dass Bernhard Schlink hier auch persönliche Erfahrungen einfließen lässt, ist spürbar – ich hätte mir sehr gewünscht, daß er dafür eine andere Sprache gefunden hätte.
Im dritten Teil, als Kaspar sich dann auf die Suche nach seiner Stieftochter macht, sie findet und er einen Deal mit den Eltern macht, sie in den Schulferien zu sich einladen zu dürfen, hat mich die Geschichte dann doch gepackt. Die Unsicherheit Kaspars, wie er sich richtig verhält, seine Versuche, der Enkelin eine andere als die völkische, nationalsozialistische der Eltern, seine Welt, näher zu bringen und ihr so zu zeigen, daß es auch andere Ansichten gibt als die, die ihre Eltern vertreten, haben mich berührt. Vielleicht auch deshalb, weil ich, wie er, selbst keine Kinder habe und ich mich mit nachfolgenden Generationen nicht in dem Maße auseinandersetzen muss, wie es Eltern und Großeltern oft tun. Hier fand ich auch die Dialoge zwischen Großvater und Enkeltochter glaubwürdiger als in den vorangegenagen Teilen.
Kaspar ist für mich aber auch ein typischer Vertreter des liberalen Spektrums: Er will tolerant sein bis an die Schmerzgrenze und scheut, aus Angst, die Enkelin zu verlieren, jede Konfrontation. Erst am Ende des Romans ist eine Situation erreicht, in der er nicht mehr ausweichen kann. Diese Einstellung ist eine, die gerade in den in vielerlei Hinsicht fordernden Zeiten, die wir gerade erleben, schwierig geworden ist und die hinterfragt werden sollte. Schlinks Kaspar erlebt es mit seiner Enkelin, aber seine Haltung liesse sich problemlos auf den Umgang mit Querdenkenden oder Rechten im persönlichen oder gesellschaftlichen Umfeld übertragen.
Fazit: So ganz überzeugt hat mich der Roman nicht, insgesamt habe ich die Lektüre jedoch nicht bereut, denn ich fand vieles darin, das zum Nachdenken anregt.
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