Client: Zoe Beck

Dieser Krimi lag einige Wochen hier und ich habe lange gezögert, ihn zu lesen. Das Thema Missbrauch ist eines, das so abgründig ist, dass es schwer auszuhalten ist, sich ihm zu stellen. Schon die beiden Vorgängerromane „Sommer bei Nacht“ und „Am roten Strand“ waren in Teilen schwer erträglich. In dem Schreiben des Galiani Verlages, das dem Rezensionsexemplar beigefügt war, las ich: „… Und es gibt Bücher, bei denen man den Atem anhalten muss während des Lesens, bei dem man ungläubig und schockiert den Wandlungen und Taten der Hauptfiguren folgt, die einen herausfordern….“

Ben Neven kennen wir bereits aus den Vorgängerbänden und eigentlich ist er einer von den Guten: Gemeinsam mit seinem Team hat er ein Missbrauchskomplex ausgehoben und ist noch immer damit beschäftigt, die weiten Verästelungen des Netzwerkes zu verfolgen. Für viele ist er ein Held, im Team ist er hochgeschätzt, aber niemand weiß von seiner dunklen Seite: Er gehört selbst zu denen, die er jagt. Am Ende des Vorgängerbandes hat er die Grenze vom konsumieren entsprechender Bilder hin zum aktiven Missbrauch überschritten: Wöchentlich steuert er nun einen Parkplatz an einem Spaßbad an, der weit von seinem Wohnort entfernt liegt, um dort Adrian zu treffen, einen minderjährigen Jungen aus Rumänien. Dieser lebt mit seinem Vater in einer nahegelegenen Siedlung, die Mutter ist in Rumänien zurückgeblieben und telefoniert nur ab und zu mit ihm. Der spielsüchtige Vater zwingt Adrian, Geld von den Freiern zu beschaffen, die den Parkplatz regelmäßig ansteuern.

Diese zweite Erzählebene verfolgt Jan Costin Wagner ebenso einfühlsam wie die von Ben Neven, der sich immer weiter in seinem Doppelleben verstrickt. Beide, Ben und Adrian, befinden sich in einer ausweglosen Situation: Adrian ist vom Vater abhängig, er kann kaum Deutsch, geht nicht zur Schule und muss das Geld, das er verdient komplett an den Vater abgeben. Erst als ihm Ben für eine „Sonderleistung“ mehr gibt, als vereinbart, ändert sich seine Lage. Er behält das überzählige Geld ein und geht davon ins Spaßbad, das er bisher nur von außen kennt und trifft dort zufällig Vera, eine Gleichaltrige, mit der er sich anfreundet. Der Kontakt mit ihr verändert ihn und eröffnet ihm neue Perspektiven. Ben wiederum, glücklich verheiratet, Vater einer Tochter, die er sehr liebt, kann es auf keinen Fall zulassen, dass irgendjemand von seinem Doppelleben erfährt. Aber der innere Druck, der auf ihm lastet wird immer stärker und die Frage, wie lange er ihm standhalten kann, ohne sich zu offenbaren, wird immer drängender.

Wie Jan Costin Wagner das alles schreibt ist großartig! In fast karger Sprache, aber auch mit großer Konsequenz und Einfühlsamkeit in beide Hauptfiguren, entwickelt er einen Sog, dem ich mich kaum entziehen konnte. Zufälle und unerwartete Begebenheiten, aber auch sein nicht zu bändigendes Verlangen nach Adrian sorgen dafür dass Ben in eine immer ausweglosere Lage getrieben wird. Adrian hingegegen lernt durch die Freundschaft mit Vera, wie sein Leben auch aussehen könnte. Sich für diese Möglichkeit zu entscheiden, würde ihm aber aber abverlangen, sich von seinem bisherigen Leben und von seiner Familie zu trennen.

Fazit: Mit diesem Band sprengt Jan Costin Wagner die Grenzen des Genres, am Ende blieben bei mir als Leserin Hoffnung, Zweifel und Ungläubigkeit, wohin Menschen getrieben werden können, die eigentlich zu den Guten gehören wollen. Absolute Leseempfehlung!

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