Ken Follett hat sich sowohl als Thrillerautor als auch als Autor gut recherchierter historischer Romane einen Namen gemacht. Ich habe einige davon gelesen bzw. gehört und freute mich, daß ich nun seinem neuesten Roman „Never“ als Hörbuch hören konnte.

Der Inhalt

900 Minuten Hörbuch auf 12 CD’s oder 877 Seiten zu lesen – da kann eine Inhaltsangabe entweder ewig lang werden oder die Geschehnisse nur anreissen. Ich zitiere deshalb den Lübbe Verlag, der zum (Hör)buch folgendes schreibt:

„In der Sahara folgen westliche Geheimdienstagenten der Spur mächtiger Drogenschmuggler. Die Amerikanerin Tamara und ihr französischer Kollege Tab gehören zu ihnen. Für ihre Liebe riskieren sie ihre Karriere – und im Einsatz für ihr Land ihr Leben. Nicht weit entfernt macht sich die junge Witwe Kiah mit Hilfe von Schleusern auf den Weg nach Europa. Als sie sich gegen Übergriffe verteidigen muss, hilft ihr ein Mitreisender. Doch er scheint nicht zu sein, was er vorgibt.

In China kämpft der hohe Regierungsbeamte Chang Kai gegen die kommunistischen Hardliner. Er hat ehrgeizige Pläne, und er befürchtet, dass die Kriegstreiberei seiner Widersacher das Land und dessen Verbündeten Nordkorea auf einen Weg leitet, der keine Umkehr zulässt.

In den USA führt Pauline Green, die erste Präsidentin des Landes, ihre Amtsgeschäfte souverän und bedacht. Sie wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um zu verhindern, dass die USA in einen unnötigen Krieg eintreten müssen. Doch wenn ein aggressiver Akt zum nächsten führt, wenn alle diplomatischen Mittel ausgereizt sind, die letzte Entscheidung gefallen ist – wer kann dann noch das Unvermeidliche verhindern?“ (© Lübbe Verlag)

Meine Meinung

Dieses Hörbuch ließ mich zwiegespalten zurück. Zum einen hat es ein sehr interessantes Thema und die politischen Hintergründe sind ohne Zweifel sehr gut recherchiert und auch realistisch. Zum anderen fand ich es schlicht und ergreifend zu lang. Insgesamt gibt es drei Haupthandlungsfäden:

Im Tschad beginnt der Roman (nach einem Prolog) und wir lernen die Hauptpersonen dieses Handlungsstrangs kennen: Kiah, die mit ihrem Sohn Nijah nach Frankreich fliehen will und in die Hände von Schleusern gerät. Abdul, ein verdeckter Agent der CIA sowie Tamara und Tab, Agenten der CIA und des französischen Geheimdienstes. Abdul ist einem internationalen Drogenring auf der Spur und auf der Suche nach dessen Anführer schließt er sich demselben Schleuser an wie Kiah. In diesem Strang erfahren wir viel über afrikanische Konflikte und die Großmächte, die dahinter stehen, den Kampf um Wasser und die Macht des ISGS, dem Islamischen Staat der Sahara. Natürlich bleibt es nicht aus, daß sich sowohl Tamara und Tab als auch Kiah und Abdul im Laufe des Buches näher kommen. Aber die Ausführlichkeit und der Detailreichtum, mit der Ken Follett erzählt, lässt relativ wenig Spannung aufkommen, die Charaktere sind eher oberflächlich gezeichnet.

Der zweite Handlungsstrang führt uns in Weisse Haus. Dort ist eine körperlich kleine, aber durchsetzungsstarke Frau Präsidentin. Langsam aber sicher muss sie immer weitreichendere Entscheidungen treffen, unterstützt von ihrem Mitarbeiterstab. Gleichzeitig gerät ihre Ehe in eine tiefe Krise und sie hat einen Rivalen um die nächste Präsidentschaft, der Donald Trump nachgezeichnet ist. Die Abläufe im Weissen Haus, das Leben dort sind ebenfalls sehr detailfreudig beschrieben, immerhin kam mir Pauline Green etwas näher als die Handelnden in Afrika.

Den spannendsten Teil der Handlung fand ich den in China angesiedelten: Hier steht Chang Kai, der Leiter des Auslandsgeheimdienstes, im Mittelpunkt. Er gehört zur jüngeren, aufgeschlosseneren Garde des chinesischen Machtapparates und liegt mit den alten Hardlinern der Kommunistischen Partei über Kreuz, die in Amerika den Erzfeind sehen, den sie abgrundtief hassen und dem sie zutiefst misstrauen. Unter ihnen ist auch sein eigener Vater. Chang Kai kam mir von allen Hauptfiguren am nächsten. Die Probleme, die der von China protegierte Machthaber von Nordkorea mit Rebellen in seinem Land hat, in deren Hände das Waffenarsenal des Landes fällt, fand ich erschreckend realsitisch geschildert.

Ken Follett treibt sein Handlungspersonal mit aller Konsequenz in ein Szenario, das zum Untergang der Menschheit führen kann. Wie sich aus scheinbar kleinen Entscheidungen ein Konflikt immer weiter hochschaukeln kann, das durchdenkt er in diesem sehr komplex konstruierten Roman. Gegliedert ist es nach einem Prolog in 5 Teile: DEFCON 5 – 1. DEFCON steht für die einzelnen Alarmbereitschaftszustände der amerikanischen Armee. Wie er auf die Idee zu diesem Roman kam, beschreibt er so:

„Als ich für „Sturz der Titanen“, den ersten Band meiner Jahrhundert-Trilogie, recherchierte, stellte ich schockiert fest, dass der Erste Weltkrieg ein Krieg war, den niemand wollte. Aber einer nach dem anderen trafen die Kaiser und Premierminister, ohne einen Krieg zu beabsichtigen, Entscheidungen, von denen jede uns dem schrecklichsten Konflikt, den die Welt bis dahin gesehen hatte, einen kleinen Schritt näherbrachte. Ein Krieg, von dem ich glaube, dass er aus Versehen geführt wurde. Und mir kam der Gedanke: Könnte das noch einmal passieren?“

Trotzdem: Mir fehlte insgesamt die Spannung, die ich aus anderen Romanen des Autors kannte, in denen er sehr gekonnt einen guten Spannungsbogen aufbaut. Der fehlte dieses Mal. Ich hatte ein wenig den Eindruck, daß er eine solche Materialfülle angehäuft hatte, daß er sich nicht so recht entscheiden konnte, was er in die Handlung einbaut und was er weglässt. Zwar ist der Roman zweifellos klug konstruiert, dennoch blieb für mich der afrikanische Handlungsteil merkwürdig unverbunden mit den beiden anderen Handlungssträngen und auch die eingebauten Liebesbeziehungen waren eigentlich Fremdkörper, auf die ich hätte verzichten können. Ich hätte mir ein Lektorat gewünscht, das die Handlung gestrafft und verdichtet hätte. So war ich manchmal fast versucht, aufzugeben.

Aber da ist ja dann noch die wirklich vorzügliche Sprecherin Tessa Mittelstaedt, die den Roman wirklich ganz hervorragend liest. Sie sorgt mit unterschiedlichen Färbungen ihrer Stimme dafür, daß die Hauptersonen ihren eigenen Sound hatten – das hielt mich dann letztendlich bei der Stange.

Und eines bleibt nach dem Hören: Die Gewissheit, daß wir uns nicht in Sicherheit wiegen können und daß es letztendlich immer einzelne Personen sind, die mit ihren Entscheidungen, Revanchegelüsten oder Machtansprüchen dafür sorgen können, daß die Vernunft unterliegt. Wir erleben es derzeit hautnah und Ken Follett lenkt unseren Blick auf einen Teil der Welt, der uns zwar fern ist, in dem aber ebenfalls Konflikte lauern, die die ganze Welt in den Abgrund reissen können.

Fazit: Streckenweise zäh, aber hervorragend gelesen – ein Hörbuch, das trotz einiger Schwächen in der Handlung Eindruck bei mir hinterlassen hat.

Der Lübbe Verlag hat eine sehr umfangreiche Sonderseite zum (Hör)buch gestaltet, in der Sie ein Interview mit Ken Follett anschauen oder lesen können, etwas über die Hauptcharaktere sowie eine Lese- und Hörprobe finden.

Und wenn Sie Lust haben, sich auf Buch oder Hörbuch einzulassen, dann können Sie es in den beiden Vaihinger Buchhandlungen buch+musik oder Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Die Links führen direkt in die jeweiligen Webshops.