Dieses Buch stand auf der Liste des Lesekreises und obwohl ich eigentlich nicht gerne Bücher französischer Autor:innen lese, war ich gespannt darauf. Immerhin wurde der Roman 2019 auch mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.

Im Mittelpunkt steht Paul Hansen, der in einem kanadischen Gefängnis einsitzt und sich die Zelle mit Patrick teilt, einem Hells-Angels-Biker. Paul ist ein einfühlsamer und besonnener Mann, der über 25 Jahre Hausmeister in einem Apartmenthaus war. Sein Beruf war seine Berufung: Er war nicht nur der Haumeister, der im Haus alles in Ordnung hielt und im Pool die richtige Textur des Wassers sorgte, sondern er war auch der gute Geist, der die Bewohner:innen in ihrem Alltag unterstützte. Was führt dazu, dass so ein Mensch im Gefängnis landet?

Das erfahren wir Leser:innen erst ziemlich am Ende des Romans. Empathisch und mit leisem Humor erzählt Jean-Paul Dubois von Paul, dem Kind einer Französin und eines Dänen. Die Mutter erbt ein Programmkino in Paris, der Vater arbeitet als Pfarrer. Während er nach und nach seinen Glauben verliert, wird das Kino seiner Mutter „vom frischen Wind eines zweiten Frühlings ergriffen“ (S. 43). Paul ist zu diesem Zeitpunkt 10 Jahre alt und nimmt wahr, dass „jeder, der ein wenig aufmerksam war, die Scharniere der alten Welt knarzen hören“ konnte (S.33). Die Mutter nimmt gegen den Willen des Vaters immer radikalere, teilweise pornographische Filme ins Programm und während das Kino floriert verliert der Vater deshalb seine Arbeit, die Ehe zerbricht.

Paul, der seinem Vater näher steht als der Mutter folgt ihm nach Kanada, wo er eine neue Pfarrstelle gefunden hat. Nach einem abgebrochenen Studium findet Paul dann seine Bestimmung als Hausmeister im Excelsior, einer exklusiven Wohnanlage, in dem wohlhabende ältere Menschen ihre Heimat haben. Er heiratet, wird nach 11 Jahren Witwer und muss erleben, wie sich die Welt und sein Lebenskosmos langsam verändert.

Die Zeit in der Zelle gibt Paul viel Zeit zum Nachdenken über sein Leben und Jean-Paul Dubois lässt uns teilhaben an seinen Erinnerungen. Gleichzeitig erleben wir den Alltag in der Gefängniszelle. Zwei vollkommen unterschiedliche Männer, denen auf engstem Raum keine Intimsphäre bleibt und die sich trotzdem einander annähern. Wie der Autor von der Enge des Gefängnislebens erzählt, in dem trotzdem eine gewisse menschliche Nähe entsteht, das hat mich beeindruckt.

Auch sonst findet er immer wieder sehr schöne Formulierungen, erzählt sehr schlüssig und mit Humor nicht nur die Geschichte seines Protagonisten, sondern auch die Geschichte einer sich immer mehr verändernden Welt. Im letzten Viertel des Romans beginnt man zu ahnen, was Paul ins Gefängnis gebracht haben könnte, aber was genau, das erfahren wir Leser:innen erst ganz zum Schluss.

Fazit: Für mich war das ein ganz „unfranzösischer“ Roman, den ich sehr gerne gelesen habe und der mich nicht nur durch seine schöne Sprache, überzeugt hat sondern auch dadurch, wie der Autor sein Handlungspersonal durch und durch menschlich darstellt. Leseempfehlung! 

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