Jane Gardam ist eine englische Autorin, die es hierzulande noch zu entdecken gilt! „Einuntadeliger Mann“ ist der erste Band einer Trilogie, die bereits 2004 auf englisch erschienen ist und erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Und das übrigens meisterhaft von Isabel Bogdan.
Auf Englisch heißt das Buch „Old Filth“, was auf Deutsch soviel bedeutet wie alter Dreck oder alter Schmutz. Old Filth ist gleichzeitig auch der Spitzname von Edward Feathers. Old Filth deshalb, weil von ihm der Ausdruck „FILTH – Failed In London Try Hongkong“ stammt. Und damit wissen wir auch schon, wer Edward Feathers ist: Jahrzehntelang erfolgreicher Anwalt in Hongkong, später dort Richter, der seinen Ruhestand gemeinsam mit seiner Ehefrau Betty in England in Dorset verbringt. Er ist, und damit bestätigt sich auch ein Stück weit der deutsche Titel, ein Mann ohne Fehl und Tadel, stets korrekt gekleidet und mit tadellosen Manieren.
Das Buch beginnt mit dem Tod von Edwards Ehefrau, die beim Tulpen pflanzen einen Herzinfarkt erleidet. Old Filth bleibt alleine zurück, das Paar hat keine Kinder. Der Tod Bettys bringt Edward’s geordnetes Leben durcheinander, die Trauer um sie reißt eine Distanz ein, die er sich Zeit seines Lebens zu allem, was ihm widerfahren ist, bewahrt hat und er beginnt, sich an sein langes Leben und auch an seine Kindheit zu erinnern. Und so erklärt sich auch auch der englische Titel, denn damit wird alter Dreck aufgerührt.
Edwards Mutter stirbt bei der Geburt und sein Vater, traumatisiert im 1. Weltkrieg, kümmert sich nicht um seinen Sohn. Dieser wächst bei seiner malayischen Amme auf und wird mit 4 Jahren von einer Missionarin mit genommen und in einer walisischen Pflegefamilie untergebracht. Was er und 3 weitere Kinder dort erleben, liegt wie ein Schatten über seinem ganzen weiteren Leben. Erschwert wird ihm seine Kindheit auch durch sein Stottern, das sich jedoch im Laufe der Jahre gibt.
Nach dem Tod Betty macht sich Old Filth auf die Reise zu seinen Kusinen, die mit ihm zusammen bei Ma Didds waren und für uns LeserInnen ist das gleichzeitig die Reise in Edwards Vergangenheit.
Was mich an diesem Buch fasziniert hat ist vor allem die Art, wie Jane Gardam diese Geschichte erzählt. Sie wechselt sehr geschickt die Erzählebenen, kleine Begebenheiten in der Gegenwart werden für Old Filth zum Anlass für Erinnerungen an unterschiedliche Etappen seines Lebens. Vieles wird dabei nur gestreift oder angedeutet, gelegentlich später noch einmal aufgenommen, manchmal auch vertieft bis am Ende des Buches auch Worte für die Geschehnisse im Haus von Ma Dibbs gefunden werden. Im Gegensatz zu vielen heutigen Autorinnen und Autoren hat es Jane Gardam gar nicht nötig, alles bis ins letzte Detail auszubreiten und so bleibt viel Raum für eigene Gedanken und Bilder. Dabei hält sie wunderbar die Balance zwischen der Tragik, die in der Geschichte liegt und der britischen Skurrilität, die immer wieder durchschimmert.
Ein wunderbares Leseerlebnis, das uns auch die Zeit des untergehenden britischen Empire näher bringt, eine großartige Autorin – ein Buch, das ich Ihnen wärmstens ans Herz legen möchte!