Auf dieses Buch wurde ich in einem Forum aufmerksam, in dem es mit Romanen von Robert Seethaler verglichen wurde. Ich freute mich, daß es im Leseexemplarpaket des Hanser Verlages lag, das mir eine Freundin gegeben hatte.
1914: Maria und Josef Moosbrugger leben in einem kleinen österreichischen Bergdorf. Von den Dorfbewohner*innen werden sie nur die Bagage genannt, denn sie sind arm und leben ganz am Ende des Tals in prekären Verhältnissen. Aber sie sind glücklich miteinander. Als der 1. Weltkrieg ausbricht, wird Josef eingezogen und ist 4 Jahre von seiner Familie getrennt, nur zweimal bekommt er ein paar Tage Heimaturlaub. Er bittet den Bürgermeister, auf seine Frau aufzupassen, denn Maria ist eine ganz besonders schöne Frau und viele hoffen nun, endlich bei ihr landen zu können. Ein Kind kommt zu Welt, Grete, ein Kind, mit dem Josef nie sprechen wird, denn er glaubt nicht, daß es seine Tochter ist.
Grete war die Mutter von Monika Helfer und in diesem schmalen autobiographischen Roman spürt sie ihrer eigenen Familiengeschichte nach. Sie erzählt vom harten Leben der Großeltern, die ihr Leben lang Außenseiter waren, über die im Dorf getuschelt wurde. Die Schönheit von Maria war auch ein Fluch, Josef machte nebenbei „Geschäftchen“, von denen man nicht wusste welche, er bekam im Gegensatz zu allen anderen Männern, die an der Front waren zweimal Heimaturlaub und er überlebte, was ihm geneidet wurde. Der zweitälteste Sohn Lorenz konnte besser rechnen als der Lehrer, was auch kaum mit rechten Dingen zugehen konnte.
Die knappe Form, die Monika Helfer ihrer Geschichte auf nur 160 Seiten gibt, hat mir sehr gut gefallen. Sie erzählt nicht linear, sondern versucht sich vorzustellen, wie das Leben ihrer Großeltern gewesen sein könnte. Immer wieder jedoch erfahren wir auch, was aus den Onkeln und Tanten später geworden ist, an was sie sich selbst erinnert und was ihre Tante Kathe ihr erzählt hat. Dieses Wechselspiel zwischen ihrer eigenen Phantasie und dem, was sie an Fakten weiß, machte das Buch für mich ungeheuer lebendig. Dazu kommt eine wirklich schöne, schlichte, aber gleichzeitig sehr poetische Sprache, da „wohnen in den Wänden noch die Eltern“ und „der Föhn duftet zwischen den Ritzen herein“.
Unter all dem lauert aber auch die Frage, was die Geschehnisse mit den Menschen gemacht hat. Wie kommt Maria mit dem Misstrauen von Josef zurecht, wie lebten die Kinder, die schon früh ihre Eltern verloren, später als Erwachsene, konnte Grete, die für ihren Vater gar nicht existierte ihren Kindern ein normales Familienleben geben? Vieles wird nur knapp angedeutet, aber trotzdem hatte ich am Ende ein rundes Bild.
Fazit: Ein tolles, vielschichtiges, sprachlich hervorragendes Buch. Auf den Vergleich mit Robert Seethaler wäre ich nicht unbedingt gekommen, aber ich kann mir gut vorstellen, daß Leser*innen, die dessen Romane gerne gelesen haben, diesen Roman, so wie ich, gerne lesen werden. Absolute Leseempfehlung!
Auf der Seite des Hanser Verlages finden Sie nicht nur eine Leseprobe, sondern auch ein schönes Interview mit Monika Helfer, in dem sie etwas darüber erzählt, wie schwierig es war, die richtige Form für dieses Buch zu finden.
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