Dieses Buch wurde im „Literarischen Buchhandelsquartett“ auf den Stuttgarter Buchwochen diskutiert und ich habe es mir am Büchertisch gleich gekauft. Die Geschichte eines Fluges, der innerhalb von 3 Monaten zweimal in New York landet, mit identischer Besatzung und Passagieren und den Konsequenzen, die sich daraus ergeben, das reizte mich.

Der Inhalt

Im März 2021 fliegt eine Boeing 787 auf dem Weg von Paris nach New York durch einen elektromagnetischen Wirbelsturm. Die Turbulenzen sind heftig, doch die Landung glückt. Allerdings: Im Juni landet dieselbe Boeing mit denselben Passagieren ein zweites Mal. Im Flieger sitzen der Architekt André und seine Geliebte Lucie, der Auftragskiller Blake, der nigerianische Afro-Pop-Sänger Slimboy, der französische Schriftsteller Victor Miesel, eine amerikanische Schauspielerin. Sie alle führen auf unterschiedliche Weise ein Doppelleben. Und nun gibt es sie tatsächlich doppelt − sie sind mit sich selbst konfrontiert, in der Anomalie einer verrückt gewordenen Welt. (© Rowohlt Verlag)

Meine Meinung

Dieses Buch ist unglaublich komplex und, das sage ich gleich zu Beginn, ich habe bestimmt nicht alles verstanden. Trotzdem war es für mich ein großes Lesevergnügen! Die Diskussionsrunde warnte gleich vor, daß der Roman nicht ganz einfach zu lesen sei, denn die Handlung springt zwischen zwei Zeitebenen hin und her: Mal befinden wir uns im März, mal im Juni. Das erfordert Aufmerksamkeit beim Lesen, aber ich hatte damit keine Mühe.

Zu Beginn stellt uns Hervé le Tellier einige Passagiere des verhängnsivollen Fluges vor und wir lernen sie und ihr Leben etwas genauer kennen. Im Mittelteil des Romans werden Besatzung und Passagiere der zweiten gelandeten Maschine auf einem Militärflughafen festgehalten und verhört. Die amerikanische Regierung hat Wissenschaftler und Experten verschiedener Disziplinen, Mathematik, Philosophie, Theologie, zusammengerufen, die versuchen sollen, eine Erklärung für diese Anomalie zu finden. Darunter ist auch ein ziemlich abgdrehter Mathematiker, der zusammen mit einer Komilitonin viele Jahre zuvor ein Protokoll entworfen hat, wie bei unvorhergesehenen Situationen von Flügen vorgegangen werden soll. Dieses wird nun abgearbeitet. Hier zeigt sich auch immer wieder der Humor des Autors, beispielsweise beim Gespräch im Oval Office mit dem amerikanischen Präsidenten. Trotzdem bin ich diesen Passagen teilweise ausgestiegen, denn wie hier philosophiert oder auch wissenschaftlich diskutiert wird, war mir oft einfach zu hoch. Letztendlich spielte das für das Verständnis des Romans keine entscheidende Rolle, denn welche der diskutierten Erklärungen gilt, wird nicht aufgelöst – letztendlich könnte ich als Leserin mir das also selbst aussuchen. Ebensowenig habe ich sicherlich die zahlreichen literarischen Anspielungen wahrgenommen – auch das habe ich nicht als Defizit wahrgenommen, obwohl es für so manche Leser:innen sicher den Genuß an diesem Buch noch erhöht.

Der Spannendste für mich war der dritte Teil, in dem sich die Menschen dann selbst begegnet sind, und wie sie mit dieser Situation umgehen: Der Auftragskiller, der das Problem gemäß seinem Beruf löst, der Autor, der sich im März umgebracht hat und nun plötzlich wieder da ist und erstaunt festestellt, dass sein Buch „Die Anomalie“ zu einem riesigen Erfolg wurde oder auch der junge Sänger, der eine sehr elegante Lösung für das Problem findet. Wie le Tellier hier mit der Situation spielt, fand ich großartig.

Bei der Buchvorstellung im Literaturhaus erklärte der Autor auch noch einiges über die Anlage seines Romans. Er wollte mehrere Genres darin unterbringen, z.B. einen Roman Noir, eine Romanze oder die Geschichte eines Missbrauchs. Und er erläuterte auch, daß er sich von der Simulationeshypothese des schwedischen Philosophen Nick Bostrom anregen ließ, die davon ausgeht, daß wir möglicherweise in einer Simulation leben.

Fazit: Als ich akzeptiert hatte, daß es nicht schlimm ist, wenn ich nicht alles verstehe, war das ein tolles, anregendes Lesevergnügen für mich! Vielleicht lesen Sie, wenn Sie sich auf die Lektüre einlassen noch ganz andere Dinge aus diesem Roman heraus. Und das ist dann genau das, was der Autor möchte. Deshalb: Absolute Leseempfehlung!

Vieles, was Hervé le Tellier bei der Veranstaltung im Literaturhaus zur Anlage seines Romans erklärt hat, können Sie in dieser Zusammenfassung nachlesen

Einen Eindruck vom Stil des Buches können Sie sich in dieser Leseprobe verschaffen

Wenn Sie Lust bekommen haben, den Roman selbst zu lesen, können Sie ihn in den beiden Vaihinger Buchhandlungen buch+musik oder Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Die Links führen direkt zum Titel in den jeweiligen Shops.