Von diesem Buch hörte ich immer wieder von Kolleg*innen aus anderen Buchhandlungen und inzwischen steht es auch auf der Shortlist für das Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhandlungen. Eine befreundete Buchhändlerin hat es mir ausgeliehen und auf dem Buch klebte ein post – it: „Wahnsinnig schön, irgendwas zwischen zärtlich und wütend. Ganz, ganz toll!“ Wenn das nicht eine dringende Leseaufforderung ist!
In einem Weinberg begegnen sich zwei Frauen: Die 17jährige Sally, die abgehauen und voller Wut auf ihr Leben ist und Liss, die alleine auf einem Bauernhof lebt. Liss bittet Sally um Hilfe, um ihren festgefahrenen Hänger frei zu bekommen und bietet ihr an, auf ihrem Hof zu übernachten. Sally spürt, daß Liss anders ist, als all die Sozialpädagogen oder gar ihre Eltern und bleibt. Gemeinsam bewirtschaften die beiden Frauen in den nächsten Wochen den Hof und nähern sich aneinander an. Doch dann findet die Polizei Sally und das löst bei beiden Frauen eine existenzielle Krise aus.
„Irgendwas zwischen zärtlich und wütend“ – diese Formulierung bringt es auf den Punkt. Sally steckt voller Wut, sie ist hochintelligent, fühlt sich aber in ihrem Zuhause fehl am Platz und von ihren Eltern völlig unverstanden. Diese bringen sie in großer Sorge in eine Klinik für Essstörungen, in der sie sich jedoch ebenso unverstanden fühlt. Liss hingegen nimmt sie, wie sie ist, sie stellt keine Fragen, sie redet kaum mit ihr und Sally merkt bald, daß auch sie mit ihrem Leben im Clinch liegt. Irgendetwas muss vorgefallen sein, was Liss zur Außenseiterin im Dorf gemacht hat.
Während mir bei Sally ziemlich rasch klar war, was mit ihr los ist, bleibt Liss‘ Geheimnis lange im Dunkeln. Stück für Stück enthüllt sich uns ein Charakter, der die Freiheit liebt, jedoch vom überstrengen Vater eingeengt wird. Die beiden Frauen verbringen die Tage mit Arbeiten auf dem Hof und den Feldern, im Weinberg und in einem alten verwilderten Garten, in dem Birnbäume stehen, die alte Sorten tragen. Besonders diese Passagen, in denen Ewald Arenz das beschreibt haben mir gefallen. Ich sah den alten Birngarten vor mir, roch die reifen Früchte, hörte das Summen der Bienen. In diesem Garten spricht Liss auch zum ersten Mal von sich: Wie der strenge Vater den Garten angelegt, die Bäume in ein Schnurgerüst gepresst hat. Auch sie hat er in ein Gerüst gepresst und versucht, sie gerade zu halten, so wie seine Bäume. Aber Liss ist ausgebrochen und hat versucht, ein freieres Leben zu führen, doch sie ist vom Regen in die Traufe gekommen.
Das alles erzählt Ewald Arenz in einer poetischen, sinnlichen Sprache und sehr feinfühlig. Man merkt, daß er selbst auf dem Land groß geworden ist. Aber auch das Zusammenspiel seiner beiden Hauptfiguren ist psychologisch sehr überzeugend – erstaunlich, wie er sich als Mann so gut in die beiden Frauen einfühlen konnte.
Fazit: Ein wirklich schönes, spannendes und sehr berührendes Buch, das mich ganz in seinen Bann gezogen hat.
Hier können Sie in’s Buch reinlesen
Eine Buchbesprechung mit einem kurzen Porträt des Autors finden Sie hier (Video, ca 6 Minuten, verfügbar bis 15.7.2020)
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