„Patentöchter“ – Julia Albrecht und Corinna Ponto eröffnen das 6. Lesefest Vaihingen
Die Eröffnungen der Vaihinger Lesefeste bieten den Gästen immer eine besondere Lesung. Im für die Zeit des Lesefestes eigens eingerichteten Literaturtempel des Kinderhauses Büsnau sprachen z.B. Christian Nürnberger schon über die Erziehung, Ines Geipel über Amokläufe und jetzt waren Julia Albrecht und Corinna Albrecht zu Gast im und stellten ihr gemeinsames Buch „Patentöchter“ vor.
Dieses Buch hat mich schon bei der Lektüre sehr berührt, denn viel zu selten wird über die Opfer der RAF-Terroranschläge gesprochen. Und die Tat von Susanne Albrecht bleibt bis heute besonders perfide: War sie es doch, die den Mördern des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank am 30. Juli 1977 Zutritt zur Villa der Familie Ponto verschaffte, denn sie war die Patentochter von Jürgen Ponto. Wie gehen die Familien, vorher gut miteinander befreundet, mit so einer ungeheuerlichen Tat um?
Opfer sind beide, das wurde in dem Vortrag der Textpassagen, den die beiden Frauen vortrugen deutlich: Julia Albrecht, die den Verlust der Schwester und die Folgen von deren Tat verkraften musste und Corinna Ponto, die den Vater verlor und deren Leben so wie das der ganzen Familie völlig aus den Fugen geriet. Besonders Corinna Ponto merkte man den Zorn noch immer an, den Zorn darüber, dass die meisten Terroranschläge aus dieser Zeit noch immer nicht aufgeklärt sind, das Unverständnis darüber, dass viele Akten noch für Jahrzehnte unzugänglich bleiben werden und die Wut darüber, dass den Hinweisen, dass die Stasi ihre Finger mit im Spiel hatte in dieser „bleiernen Zeit“ nie ernsthaft nachgegangen wurde.
Aber auch Julia Albrecht beeindruckte durch ihre Erlebnisse, vor allem, als sie über den Schock berichtete, als ihre Schwester nach 13 Jahren plötzlich in der DDR wieder auftauchte, mit neuem Namen, verheiratet und mit Sohn. Man konnte die tiefer Verletzung nur erahnen, die ihr bei der Bemerkung ihrer Schwester, als sie sich im Gefängnis zum ersten mal wieder sahen „Ach, Dich habe ich ganz vergessen.“ zugefügt wurde.
Ein spannender Abend war das im Kinderhaus Büsnau und die vielen Gespräche und Diskussionen danach am Büffet drehten sich in erster Linie um die RAF-Zeit. Ein Beleg dafür, dass diese Zeit bei vielen intensiv in Erinnerung geblieben ist und ein Beleg dafür, dass es höchste Zeit wäre, diese dunkle Zeit der bundesrepublikanischen Geschichte endlich historisch aufzuarbeiten – mit allen Quellen!
Text: Susanne Martin, Foto: Lesefeste Stuttgart
Einen Bericht aus der Stuttgarter Zeitung können Sie hier lesen