Gastrezension: „Sterblich“ von Thomas Enger
Unser Vorkoster Thomas Wolter las „Sterblich“, den Roman eines Newcomers der skandinavischen Krimiszene. Lesen Sie hier seine Besprechung:
Mit dem schwer traumatisierten (ja, richtig gelesen, schon wieder…) Internet-Journalisten Henning Juul fügt der norwegische Newcomer Thomas Enger der umfangreichen Krimi-Literatur einen neuen Ermittlertyp außerhalb polizeilicher Kreise hinzu. Ob der nun auch eine Bereicherung ist? Der euphorische Verlagstext, inklusive Hinweise auf vielfach verkaufte Übersetzungsrechte und die geplante Verfilmung, lässt jedenfalls nichts Gutes erwarten….
Doch Enger kommt schnell und direkt, klar und detailreich zur Sache; ein Schreibstil, den er gut durchhält und der das ganze Buch prägt. Ein Passant findet in Oslo die halb vergrabene und schrecklich zugerichtete Leiche einer jungen Filmstudentin. Auf den ersten Blick ein islamischer Ritualmord. Etwa zur gleichen Zeit kehrt Henning Juul in seine Redaktion zurück, gezeichnet von Brandnarben und dem Verlust seines kleinen Sohnes. Die Leiche wird sein erster „Fall“, und Juul, vor dem Brand ein geradezu legendärer Journalist der Szene, macht sich auf, die seltsamen Hintergründe zu erforschen.
Enger beschreibt dabei Juuls Erlebnisse und Wege in Oslo detailliert und düster. Seine Zweifel, Gefühle, Psychosen, Fortschritte, Bedrohungen spielen streckenweise eine größere Rolle als die Aufklärung des Mordfalls selbst. Die Wege durch Oslo sind zugleich auch Wege zu sich, zu Juul selbst. Begegnungen, die ihn der Lösung des Falls näher bringen, verändern auch den traumatisierten Journalisten. Je komplexer, je abgründiger der Mord sich darstellt, desto tiefer dringt Juul auch in sich und kann sich etwas lösen von den unaussprechlichen Erinnerungen.
Ob das Buch nun eine Bereicherung ist, war die Frage. Nun, es ist ein recht typisch skandinavischer Krimi, mit Betonung des komplexen menschlichen Innenlebens, mit direkter Sprache und indirekter Handlung, mit trister Stimmung. Mankell und Larsson lassen grüßen… Wer das mag, wird auch Enger sehr gerne lesen (und später auch im Fernsehen schauen). Mir persönlich war es trotz direkten Stils zuviel Psychologie und zuwenig „Diretissima“.
Thomas Wolter
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