Spannende Lesung in der Gefahrenzone Bibliothek
Der Lesungsraum im Untergeschoss der Stadtbücherei ist in violettes Licht getaucht, ganz passend zum Buch, aus dem heute Abend gelesen wird: „Willkommen in Night Vale“ ist der Titel des Fantasy-Romans, der eigentlich nur zur Hälfte Fantasy ist und zur anderen ein seltsamer Spiegel unserer Wirklichkeit. Erfunden wurde Night Vale von Joseph Fink und Jeffrey Cranor, zwei Amerikanern, die sich beim Experimentellen Theater in New York kennengelernt haben und irgendwann auf die Idee kamen, gemeinsam einen Podcast zu schreiben über diese seltsame kleine Stadt in der Wüste. Die beiden Herren sind zu Gast, im Rahmen der Dragon Days wurden sie eingeladen, und in der Stadtbücherei werden sie flankiert zum einen von Dennis Scheck, der den Abend moderiert und „raffende Inseln des Verständnisses zu schaffen versucht“ mit der Übersetzung des Gesprächs, und zum anderen von Andreas Fröhlich, der dem Publikum in seiner unnachahmlichen Art Passagen aus der deutschen Übersetzung (von Wieland Freund und Andrea Wandel) zu Gehör bringt.
Einen solchen Erfolg, verraten die beiden Autoren aus Schecks Frage, hätten sie wahrlich nicht erwartet, weder für den Podcast noch für das Buch. Ausgerechnet übrigens für ein Buch, in dem die Bibliothek als gefährlichster Ort der Stadt und Bibliothekare als die am meisten zu fürchtenden Kreaturen beschrieben sind.
Das muss allerdings ein amerikanisches Phänomen sein, in Stuttgart jedenfalls war der Empfang herzlich, die Bibliothekarinnen und Bibliothekare hatten große Ähnlichkeit mit gewöhnlichen Menschen (wovon man sich allerdings nicht täuschen lassen darf – es steckt so viel mehr in ihnen!) und es gab bislang keine Berichte darüber, dass Menschen aus dem Publikum nach der Veranstaltung verschwunden seien.
Natürlich geht es auch darum, wie man zu zweit schreibt („Wir sprechen die einzelnen Szenen sehr genau durch und legen fest, was wann passieren muss, und dann schreiben wir die Kapitel abwechselnd“), welchen Vorbildern und Schreibtipps man folgt (Thomas Pinchon sagte ja mal als Tipp: „Kill your Darlings“, und obwohl vor allem Joseph Fink ein großer Fan von Pinchon ist, haben sie sich an diese Regel nicht gehalten, sondern ihre eigene befolgt: „adding crap instead of killing your darlings“) und auch – denn davon wimmelt es Night Vale nur so – welche Verschwörungstheorien die beiden wohl am liebsten mögen. Da wird es spannend, denn zum einen erzählen sie von sogenannten Station Numbers, amerikanischen Radiosendern, die zwischen den Musikeinspielungen keine Nachrichten oder Reportagen oder nettes Geplauder bieten, sondern schlicht Zahlenfolgen vorlesen, die völlig sinnlos scheinen. Es sei denn, so die Theorie, man hat einen Dechiffriercode, dann ergeben diese Zahlenkolonnen geheime Botschaften für Spione. Und zum anderen berichtet Jeffrey Cranor vom Denver Airport, einem internationalen Flughafen, der mit seltsamer Kunst aufwartet (unter anderem eine Pferdestatue, die ihren Schöpfer getötet haben soll) und in der Bauphase mit Gerätschaften auf dem Gelände aufwartete, wie man es für gewöhnlich zum Tunnelbau und Anlegen unterirdischer Bunker nutzen würde. All diese Theorien könne man wunderbar googeln, versprechen die beiden, aber noch habe ich mich nicht getraut.
Zum Abschluss nach einem wirklich rundum gelungenen Abend gab es natürlich Autogramme von den beiden Herren, und – eine kleine Besonderheit für die fünfköpfige Gruppe, mit der ich den Abend beschlossen habe: Die Erlaubnis, mit dem Fahrstuhl nochmal ganz nach oben zu fahren in der eigentlich schon geschlossenen Bibliothek. Kurz frage ich mich, ob das nicht doch ein Trick grausiger Bibliothekarsangestellter ist, aber das ist es nicht: Vielmehr hatten wir die Möglichkeit, den schönen neuen Bau ganz in Ruhe zu bestaunen, ohne den alltäglichen Trubel, der dort sonst herrscht, und im anheimelnden Zwielicht der Nachtbeleuchtung.
Besser, das schwöre ich, kann so ein Abend gar nicht sein.
Text und Bilder: Kati Fräntzel