Dieses Buch hätte ich wahrscheinlich nicht gelesen, wenn es nicht im Lesekreis auf der Rohrer Höhe auf dem Programm gestanden wäre. Aber deshalb gehe ich ja in diesen Lesekreis, um Bücher zu lesen, auf die ich sonst vielleicht nie gestoßen wäre oder die ich sonst nicht unbedingt gelesen hätte.
Der Verlag schreibt über das Buch: „Drei Heldentaten habe sie in ihrem Leben vollbracht, erklärt Helga Schuberts Mutter ihrer Tochter: Sie habe sie nicht abgetrieben, sie im Zweiten Weltkrieg auf die Flucht mitgenommen und sie vor dem Einmarsch der Russen nicht erschossen. In kurzen Episoden erzählt Helga Schubert ein deutsches Jahrhundertleben – ihre Geschichte, sie ist Fiktion und Wahrheit zugleich. Als Kind lebt sie zwischen Heimaten, steht als Erwachsene mehr als zehn Jahre unter Beobachtung der Stasi und ist bei ihrer ersten freien Wahl fast fünfzig Jahre alt. Doch vor allem ist es die Geschichte einer Versöhnung: mit der Mutter, einem Leben voller Widerstände und sich selbst.“ (© DTV Verlag)
Ich gebe es zu: Ich hatte Mühe mit diesem Buch, auch wenn die titelgebende Geschichte mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Eigentlich lese ich gerne Erzählungen, aber diese ließen mich merkwürdig unberührt. Nach einer längeren Lesepause musste ich noch einmal von vorne beginnen, weil ich feststellte, dass eigentlich nichts haften geblieben war. Es sind für mein Empfinden auch keine Erzählungen, sondern eher Episoden, die Schlaglichter auf ein Leben werfen.
In diesen Episoden erleben wir Helga Schuberts Leben in der DDR und im wiedervereinigten Deutschland, ihr Leben als Tochter einer Mutter, die sie eigentlich nie wirklich liebte und ihr Leben als Autorin. Es sind Episoden dabei, die mir gut gefielen, andere gaben mir nichts. Was die Lektüre nicht ganz einfach machte ist, dass viele historische und zeitgeschichtliche Ereignisse, die im Buch erlebt werden, als bekannt vorausgesetzt werden. Ich war in meiner Jugend häufiger in der DDR, deshalb konnte ich mir manches ein wenig vorstellen ebenso wie manche Teilnehmerinnen des Lesekreises, die in ihrer Jugend dort gelebt haben oder Verwandschaft hatten. Andere wiederum, die keine eigenen Erfahrungen haben, hatten damit Probleme.
Jedenfalls haben mir die Episoden, in denen Helga Schubert von ihrem Leben als privilegierte DDR – Autorin erzählt am besten gefallen, denn sie spiegeln die ganze Widersprüchlichkeit des Systems: Ihre Bücher durften in der DDR nicht erscheinen, im Westen jedoch durchaus und es war ihr auch erlaubt, dorthin zu Lesungen und Vorträgen zu reisen – so wollte sich der Staat liberal zeigen. Auch ihr Erleben der Maueröffnung und des Beitritts der DDR zur BRD habe ich mit Interesse gelesen – hier merkte ich, dass die Autorin auch als Journalistin gearbeitet hat. Ich fände es interessant, einmal von Menschen, die in der DDR gelebt haben, zu hören, wie sie (aus heutiger Sicht) die Wende erlebt haben und wie sie dieses Buch beurteilen.
In den Episoden, die sich mit ihrem Verhältnis zu ihrer Mutter beschäftigen hatte ich den Eindruck, dass hier auch ihr Beruf als Psychoanalytikerin durchschimmert, denn in diesen Teilen erzählt sie sehr reflektiert und merkwürdig distanziert – kein Wunder angesichts der Gefühlskälte, die aus dem Verhalten der Mutter spricht.
Eine der Leiterinnen des Lesekreises zitierte aus einer Rezension, in der sinngemäß steht, dass die Lektüre dieses Buches dem Gang durch ein Museum oder einer Galerie ähnelt: Manche der Objekte sprechen einen an, andere nicht. Das finde ich ein sehr treffendes Bild. Und ich möchte dieses Zitat ergänzen: So, wie mir immer wieder Führungen durch Ausstellungen so manches Objekt näher brachten, machte die anregende Diskussion über dieses Buch mir einiges darin verständlicher.
Fazit: Ich wurde kein Fan dieser Geschichten, aber ich bin froh, dass ich es gelesen habe – sie wirken dank der regen Diskussion auf jeden Fall nach.
Wenn Sie sich einen Eindruck vom Stil des Buches machen möchten, können Sie hier einen Blick hineinwerfen
Wenn Sie das Buch selbst lesen möchten, können Sie es im Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Der Link führt direkt zum Titel im Webshop.