Von Ellen Sandberg bzw. Inge Lönig, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, habe ich schon einige Romane gelesen. Unter ihrem Pseudonym schreibt sie Romane, die sich zeitgeschichtlichen Themen der Bundesrepublik widmen, die meist auch einen Hauch Krimi haben – so ganz kann sie die Krimiautorin halt doch nicht verleugnen.
So auch in diesem Roman: 2019 wird Barbara Maienfeld klar, dass sie und ihr Mann Gernot ihre schöne Stuttgarter Altbauwohnung nicht mehr halten können, wenn sie nicht schnell zu Geld kommen. Ihre drei Kinder können oder wollen sie nicht unterstützen – zwiespältig ist ihr Verhältnis zu ihren Eltern. In den 80er Jahren, bevor sie nach Stuttgart zog, lebte die Familie abgeschieden auf dem Land in einer alten Mühle. Eine scheinbare Idylle, aber es gab gute Gründe, sich zurückzuziehen, denn die Maienfelds versteckten sich vor dem Verfassungsschutz. Barbara arbeitete als Rechtsanwältin und vertrat Menschen mit wenig Geld, ihre Fälle waren ihr immer wichtiger als ihre Kinder, Gernot war Journalist, der den Kampf gegen das „System“ durch seine Artikel für linke Magazine unterstützt. Die Unterstützung der beiden ging früher noch deutlich weiter und als sie nun vor der Frage stehen, ob sie ihre Wohnung und das bequeme und bourgeoise Leben, das sie seit vielen Jahren halten können, scheint es nur eine Lösung zu geben, an das Geld zu kommen und die liegt in ihrer dunklen Vergangenheit….
Neben Barbara Maienfeld steht ihr ältester Sohn im Mittelpunkt, der bei joggen versucht, eine jungen Frau vor einem Messerangriff zu schützen. Leider erfolglos, er verliert bei dem Vorfall sein Gedächtnis und kann Charlotte, der jungen Polizistin, die den Mörder finden will, nicht helfen. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich an wichtige Episoden seines Lebens nicht erinnern kann, auch an seine Kindheit auf dem Land hat er ganz andere Erinnerungen als seine beiden jüngeren Geschwister. Während er die Zeit als sehr positiv erinnert, erzählen seine Geschwister von Vernachlässigung durch die Eltern, denen ihre Arbeit immer wichtiger waren als die Kinder.
Im Mittelpunkt des Romans steht die komplizierte Bezeihung der Eltern Maienfeld mit ihren Kindern. Gleichzeitig erleben wir in dieser Familie mit, wie die RAF entsteht und Barbara und Gernot von Mitläufern zu Unterstützern werden. Dabei nehmen sie keine Rücksicht auf die Familie, sondern gaukeln sich vor, dass diese durch die antiautoritäre Erziehung und die großen Freiheiten, die sie haben, fit fürs Leben gemacht werden und lernen, schon früh Vernatwortung für sich selbst zu übernehmen. Vor allem Barbara sind sie eigentlich gleichgültig.
Wie in den früheren Romanen von Ellen Sandberg gibt es auch in diesem Roman einen Handlungsstrang, der kriminalistische Elemente hat. Aber nicht nur deshalb ist er spannend zu lesen. Auf zwei Zeitebenen erzählt fügen sich im Laufe des Buches die insgesamt 4 Erzählperspektiven zu einem Bild zusammen, das Barbara und Gernot wenig schmeichelhaft darstellt: Die Ideale, die sie über das Wohl ihrer Kinder gestellt haben, werden immer brüchiger, das luxuriöse und bequeme Leben, in das sie geglitten sind, wollen sie keinesfalls verlieren und gehen dafür erneut buchstäblich über Leichen. Ellen Sandberg zeigt sie als die Egoisten, die sie sind: Sie drehen sich vor allem um sich selbst und sehen die Realität immer so, dass sie für sie passt. Reflektion über ihr Leben gibt es nicht und Reue schon gar nicht – ganz unbekannt ist dieses Phänomen ja heute auch nicht.
Spannende und unterhaltsame Lektüre, die durch das Auftauchen von RAF-Terroristen der dritten Generation vor einiger Zeit noch an Aktualität gewonnen hat.
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