„Maman“ ist nach „Schnell dein Leben“ (2016) und „Eine gewöhnliche Familie“ (2018) bereits der dritte autofiktionale Roman der deutsch-französischen Autorin Sylvie Schenk. In „Maman“ nähert sie sich an ihre Mutter an und rechnet gleichzeitig mit ihr ab. Er stand 2023 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Schenks Mutter Renée wird 1916 in Lyon geboren, ihre Großmutter Cécile stirbt bei der Geburt. Angeblich war Cécile eine Textilarbeiterin, aber ob das stimmt oder nur eine Geschichte ist, die man ihrer Tochter und den Enkeln erzählt hat, ist unklar. In ihrem Roman nähert sich Sylvie Schenk ihrer Mutter an, die kaum mit ihren 5 Kindern sprach. Diese Maman wächst zunächst im Heim und bei lieblosen Pflegeeltern auf, bevor sie von einem Lyoner Ehepaar adoptiert wird. Trotz der Liebe, das dieses ihr entgegenbringt, bleibt in ihr zeitlebens ein Gefühl der Minderwertigkeit, auch in ihrer Ehe mit einem Zahnarzt. Ihren 6 Kindern begegnet sie mit emotionaler Kälte.
Die autofiktionalen Romane von Sylvie Schenk sind knappe, kurze Romane Dass ihr Schreiben keine Therapie sein soll, war ihr, nach eigener Aussage, besonders bei diesem Roman wichtig – ihr geht es um Wahrhaftigkeit, sie möchte jedes „Geschwätz“ vermeiden. Die schreibende Annäherung eine Mutter konnte sie erst spät wagen, zu schmerzhaft und schwierig war das Thema für sie. Vor dem Beginn ihrer Arbeit an „Maman“ sprach sie mit all ihren Geschwistern, denn durch den teilweise großen Altersunterschied haben sie jeweils ganz unterschiedliche Erinnerungen an die Mutter. Aber natürlich bleiben Leerstellen. Diese füllt die Autorin mit ihren eigenen Gedanken und Reflektionen, die sie aber auch immer wieder hinterfragt. So entstand ein literarisch kunstvolles Buch über das Leben einer Frau, unehelich und ungewollt, die lieber schwieg und wenn sie einmal sprach, dann nicht zu ihrer Familie, sondern in Schränke hinein zur Wäsche.
Sie habe sich nie getraut, der Mutter Fragen zu stellen, erzählte Sylvie Schenk bei einer Veranstaltung in Stuttgart, erst der Schreibprozess habe ihr erlaubt, tiefer in das Leben der Mutter einzutauchen. So wurde das Schreiben auch zu einer Versöhnung mit sich selbst, da es für die Versöhnung mit der Mutter zu spät war. Wie es Sylvie Schenk gelungen ist, von dem Leben der Mutter und gleichzeitig von der Suche nach ihren eigenen Wurzeln zu erzählen, das hat mich sehr beeindruckt. Absolute Leseempfehlung!
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Eine Textprobe finden Sie hier.