Von Elif Shafak habe ich vor einigen Jahren sehr gerne die Romane „Der Architekt des Sultans“ und „Der Geruch des Paradieses“ gelesen. Mir gefiel ihre bildreiche und poetische Sprache und wie sie historische oder gesellschaftliche Einblicke in die Türkei geben. Nun sah ich in der Auslage des Vaihinger Buchladens dieses Taschenbuch. Die ersten Worte des Klappentextes „1974, die idyllische Insel Zypern…“ sorgten dafür, dass ich das Buch sofort kaufen musste. 1974 war das Jahr der Zypernkrise und ich habe den Ausbruch dieser Krise bei meinem ersten Aufenthalt in Griechenland direkt miterlebt. War ich doch damals auf einer griechischen Insel und der geplante Wochenend-Aufenthalt verlängerte sich auf über 1 Woche, da alle Fährschiffe damals für die griechische Armee eingezogen worden waren. Als damals 15jährige habe ich die Hintergründe des Konflikts noch nicht so wahrgenommen, für mich war es eher ein Abenteuer, bei dem ich die griechische Gastfreundschaft intensiv kennenlernen durfte. Aber als ich nun das Buch in den Händen hielt, wollte ich mich noch einmal zurückbegeben in diese Zeit und noch mehr über diesen bis heute schwelenden Konflikt erfahren.

Hier erst einmal der ganze Klappentext des Buches: „Im Jahr 1974 befindet sich das idyllische Zypern kurz vor dem Bürgerkrieg. Eine Taverne, betrieben von einem schwulen Paar, ist der einzige Ort, an dem sich der Grieche Kostas und die Türkin Defne treffen können. Der prachtvolle Feigenbaum im Innenhof der Taverne ist Zeuge ihrer glücklichen Begegnungen und stillen Abschiede. Der Feigenbaum ist auch da, als der Krieg ausbricht und Menschen auf der ganzen Insel spurlos verschwinden. In der Gegenwart steht der Baum im Garten von Kostas und seiner 16-jährigen Tochter Ada in London. Ada weiß nichts von ihrer Heimat, Kostas hüllt sich in Schweigen, wenn es um seine verstorbene Frau Defne geht, Adas Mutter. Nur die Wurzeln des Baums stellen noch eine Verbindung dar zu dem, was geschehen ist. Doch Ada forscht nach: Was verbirgt sich hinter dem Schweigen ihres Vaters? Warum musste ihre Mutter sterben? Während sie die dunklen Schatten ihrer Familie ausleuchtet, erwartet die Feige im Garten den kältesten Wintereinbruch seit Jahrzehnten.“ (© Kein&Aber)

Mir gefiel an diesem Roman wieder die interessante Konstruktion: Eingeteilt in 6 Teile bieten 3 Erzählebenen unterschiedliche Perspektiven der tragischen Geschichte der Zyprioten: Ada, die beim Besuch iherer Tante versucht die Leerstellen in der Geschichte ihrer Eltern zu füllen. Die Geschichte von Kostas und Defne und, das ist die überraschendste, der Feigenbaum, der im Garten des Hauses Londons steht, in dem Kostas mit Ada lebt. Als er die Insel verließ, nahm er einen Trieb mit, aus dem ein neuer Baum wuchs. Für die Leser:innen ergänzt der Baum, das, was Defne und Kosta nicht erzählen können. Elif Shafak spannt einen weiten Bogen: Die persönlichen Schicksale von Kostas und Defne, aber auch der Tavernenbetreiber, die Geschichte der Insel, geprägt von englischer Herrschaft und immer wieder ausbrechenden blutigen Konflikten der sich unversöhnlich gegenüberstehenden Volksgruppen. Ihre Sprache ist wieder die, die mir so gut gefällt, poetisch und bildreich. Die Perspektive der Feige ergänzt dies durch fast märchenhafte Elemente und wunderbare Naturbeschreibungen, sie ist wie ein Symbol für diese Geschichte, die sich aus den Wurzeln über Stamm und Äste hin zu einem Ökosystem entwickelt.

Ein toller Roman, der noch lange nachhallt. Leseempfehlung!

Wenn Sie Lust bekommen haben, das Buch zu lesen, können Sie es im Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Der Link führt direkt zum Titel im Webshop.

Eine Leseprobe finden Sie hier