Dieses Buch machte mich schon durch seine ungewöhnliche Gestaltung neugierig: Der Buchschnitt wird durch eine, einem Schutzumschlag nachempfundene Klappe geschützt, auf der auch der Inhalt und Informationen zu Karen Köhler zu lesen sind und auf dem noch einmal groß der Titel des Romans zu lesen ist: Miroloi. Ein Miroloi ist ein Totenlied, das in Griechenland von den Klageweibern gesungen wird und ganz wörtlich übersetzt heißt es „Rede über das Schicksal“. Auf Griechenland weist auch der Rest des blauweiß gestalteten Buches hin.

Viele Kolleginnen in anderen Buchhandlungen hatten mich zudem schon neugierig gemacht durch ihre sehr positiven Meinungen zum Buch, nachdem sie das Lesexemplar gelesen hatten, nun steht der Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019. Und wird von vielen Literaturkritiker*innen auf zum Teil wenig nachvollziehbare Weise in Grund und Boden kritisiert. Wieder einmal droht der Untergang der Literatur! Ein Grund mehr, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen.

Der Inhalt

Eine junge, namenlose Frau lebt in einem, wie es scheint, sehr schönen Dorf auf einer Insel. Sie ist ein Findelkind und wurde von ihrer Mutter in einem mit Zeitungspapier ausgelegten Karton vor dem Bethaus des Dorfes abgelegt, ihr Finder, der Betvater des Dorfes zog sie groß. Frauen haben nichts zu sagen in diesem Dorf, in dem die Macht bei den Männern liegt, sie dürfen nicht lesen und schreiben lernen, sie machen die meiste Arbeit, während die Männer unter dem Baum am Dorfplatz Männersachen diskutieren, Schnaps trinken und darauf warten, daß zu Hause das Essen zubereitet wird.

Die junge Frau darf keinen Namen tragen und wird im Dorf verachtet und beschimpft, im besten Falle ignoriert. Sie hat gelernt, damit umzugehen. Nur eine alte Frau, Mariah, und ihr Finder nehmen sich ihrer an. Als sie eines Tages von Mariah ein Päckchen bekommt, obwohl sie eigentlich nicht besitzen darf, ist das das Zeichen für den Betvater: In diesem Päckchen befindet sich das Rezeptbuch von Mariah, eine unzensierte Khorabel (das Glaubensbuch des Dorfes) und ein Schreibset und der Betvater beginnt, seinen Zögling zu unterrichten. Heimlich natürlich, denn wenn irgendjemand im Dorf davon erführe, wäre das das Ende für sie, sie käme an den Pfahl, an dem sie als Kind schon einmal stand.

Die Buchstaben und das Lesen verändern ihr Leben radikal: Sie lernt die Welt außerhalb des Dorfes kennen, sie erfährt Dinge, von denen sie noch nie gehört hat. Und als sie sich dann auch noch in einen jungen Betschüler verliebt, nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Meine Meinung

Es hat ein wenig gedauert, bis ich mich in das Buch hineingefunden habe. Karen Köhler springt gleich mit den ersten Sätzen hinein in die Handlung und erst nach und nach erschloß sich mir die Welt, in der die junge Frau lebt. Bei Dorf und Insel handelt es sich um fiktive Orte, die Strukturen, die Karen Köhler beschreibt sind jedoch an vielen Orten der Welt noch sehr real. Vielleicht nicht in dieser Ausprägung – es gibt keinen Strom, die Dorfgemeinschaft lebt mit einer Art Tauschhandel, Geld spielt keine Rolle – aber die Dominanz der Männer und der Religion finden wir ja in weltweit ganz unterschiedlichen Ausprägungen.

Das Besondere an diesem Roman war für mich die Sprache, in der die Autorin ihre Geschichte erzählt. Sie versucht, weitgehend aus der Perspektive ihrer Hauptprotagonistin zu erzählen und findet viele Sprachbilder, die mich sehr angesprochen haben. Sie teilt das Buch in 128 Kapitel ein, die sie Strophen nennt und die so das Miroloi abbilden, das sie für sich selbst singen muss, weil es niemanden geben wird, der das für sie tun kann. Die Strophen sind untertitelt mit Worten, die sich auf den Inhalt beziehen, von dem sie dann erzählt: Das Gesetz, Die Zersammlung, Das Wunschbuch…. Aus diesen Strophen entsteht, fast episodenhaft, das Kaleidoskop eines Dorfes und seiner Bewohner*innen, seiner Strukuren und seiner Gebräuche, geschildert aus der Sicht einer Außenseiterin, die nach ihrer eigenen Identität sucht und sie langsam findet. So entwickelte das Buch für mich eine immer stärker werdende Spannung, der ich mich bis zum Schluß nicht mehr entziehen konnte, auch wenn ich irgendwann ahnte, wie die Geschichte enden könnte.

Fazit: Ich kann die Kritik nachvollziehen, daß der Roman thematisch in mancher Hinsicht etwas überfrachtet ist, etwas weniger hätte tatsächlich mehr sein können. Meinem Lesevergüngen jedoch tat dies überhaupt keinen Abbruch. Ein Roman mit aktuellen Themen, in einer ganz eigenen Sprache geschrieben – für mich ein echtes Highlight!

Auf der Website des Verlages finden Sie Informationen zum Buch, Bilder von der besonderen Ausstattung und eine Leseprobe.

Auf zehnseiten.de liest Karen Köhler den Anfang von Miroloi (Video, 14:40Min)

Mehr über die Autorin erfahren Sie auf ihrer Webseite

Eine, wie ich finde, sehr angemessene Kritik im Deutschlandfink können Sie hier anhören

Wenn Sie Lust bekommen haben, das Buch zu lesen, dann können Sie es in den beiden Vaihinger Buchhandlungen buch+musik oder Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Die Links führen direkt zum Titel in den jeweiligen Webshops.