Elisa Hoven ist Juristin. Sie arbeitet sowohl als Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig als auch als Richterin am Sächsischen Verfassungsgericht. Sie hat nun einen Roman vorgelegt, in dem sie sich mit den dunklen Momenten im Leben von Menschen beschäftigt, die in ein Verbrechen verwickelt waren – von Tätern und von Opfern. Inspiriert ist der Roman durch echte Fälle. Mich interessierte dieses Buch für meine Juryarbeit bei den Stuttgarter Kriminächten und ich bedanke mich beim Fischer Verlag für das Leseexemplar.
„Der Brief wog nur ein paar Gramm, aber er lag schwer in meiner Hand.“ Gleich der erste Satz im Prolog macht neugierig – nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf das, wie es zu diesem Brief kam: In ihm gibt nämlich die Strafverteidigerin Eva Herbergen nach dreißig Jahren ihre Anwaltszulassung zurück. Warum, davon erzählt der Roman.
Eva Herbergen blickt zurück auf insgesamt 9 Fälle, in denen ein kurzer Moment entweder ihr Leben, das ihrer Mandant:innen oder ihrer beider Leben verändert hat. Da ist der Fall von Notwehr, in dem ein früherer Mandant von ihr freigesprochen wird, den sie Jahre zuvor in einem Wirtschaftsprozess vertreten hat. Als sie in einem Zeitungsartikel von dem Urteil liest, fällt ihr ein Telefonat ein, in dem sie mit diesem Mandanten über das Thema gesprochen hat – angeblich ging es um eine Hausarbeit seiner Enkelin.
Im Fall einer Gruppenvergewaltigung, wird das Opfer zur Täterin, im Prozess gegen einen Rebellenführer aus dem Kongo, der Kinder verschleppte, die zu Soldaten wurden, erfahren wir die Geschichte des Angeklagten, eine Frau, für die sie einen Freispruch erreicht, die sich aber lieber eine Verurteilung gewünscht hätte – das sind nur einige der Fälle, in denen Eva Herbergen oft auf einem sehr schmalen Grat wandelt und sich manchmal fragen muss, welche Schuld sie möglicherweise auch selbst auf sich lädt mit ihrer Arbeit. Die Wurzel ihres Handelns, das wird schnell klar, liegt in einem tragischen Fall ganz zu Beginn ihrer Arbeit als Strafverteidigerin und sie immer wieder dazu verleitet, Grenzen des Rechts in Frage zu stellen und vielleicht sogar zu überschreiten. Was genau da allerdings passiert ist, das erfahren wir erst ganz am Ende des Buches.
Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen. Ein wenig erinnert er an die Stories von Ferdinand von Schirach, aber im Gegensatz zu dessen Fällen handelt es sich hier um Fiktion. In diesem Interview erzählt die Autorin, was sie an den Fällen, von denen sie gelesen oder erfahren hat interessiert: Was ist wirklich passiert und wie ging es nach dem Urteil weiter? Dabei nimmt sie sich die Freiheit, sich auch ein neues, anderes Ende auszudenken. Darüber schreibt sie in einer klaren Sprache und ich wurde direkt reingezogen in die moralischen und rechtlichen Abgründe der verschiedenen Fälle. Ganz nebenbei erfahren wir Lesenden auch noch eine Menge über deutsches Strafrecht.
Für mich eine wirklich tiefgründige und faszinierende Lektüre, die lange nachhallen wird.
Wenn Sie Lust bekommen haben, das Buch zu lesen, können Sie es im Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Der Link führt direkt zum Titel im Webshop.
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