Dieses Buch entdeckte ich auf der Hotlist der Unabhängigen Verlage 2020 und nachdem ich die Leseprobe gelesen hatte, wollte ich es genauer wissen.
Mitten in seiner Vorlesung an der Kölner Universität wird Lennart Halm herausgerufen: ein Kriminalbeamter teilt ihm mit, dass seine Zwillingsschwester Luise an diesem Morgen bei einem Attentat auf die Metro in Barcelona umgekommen sei. Der IS habe sich zu der Tat bekannt. Halm fassungslos vor Trauer und Entsetzen, reist sofort nach Barcelona. Er will wissen, wie sie, die in letzter Zeit wenig Kontakt zu ihm hatte, in Barcelona gelebt hat. Was hat sie gedacht und getan, mit wem war sie zusammen? Er erinnert sich an ihre gemeinsame Kindheit und Jugend, an ihre Aufmüpfigkeit und Unbeugsamkeit, und wie die bewunderte Schwester mit 16 Jahren aus dem biederen Elternhaus ausgebrochen ist.
Im Polizeikommissariat, das die Ermittlungen führt, wird ihm gesagt, seine Schwester habe »dunkle Flecken« in ihrem Leben gehabt, es gäbe Ungereimtheiten. Halm hält das alles für absurd, doch dann taucht ein Foto auf….. (Klappentext Transit Verlag)
Dieses Buch habe ich in einem Rutsch durchgelesen. Schon die Leseprobe hatte mich direkt in diese schreckliche Geschichte hineingezogen. Zwar handelt es sich um einen fiktiven Anschlag, den Peter Henning beschreibt, aber das spielt keine Rolle, für das worüber er schreiben will: Von der Entfremdung zweier Menschen, die sich als Kinder kaum näher sein konnten und von der traumatischen Erfahrung, die der Verlust eines Menschen unter solch dramatischen Umständen mit sich bringt. Mir hat besonders gut gefallen, wie der Autor hier eine Spannung aufbaut, die immer intensiver wird. Schon relativ früh ahnte ich, daß es sein könnte, daß Luise nicht nur Opfer sein könnte, sondern auch Täterin. Peter Henning lässt uns mit Lennart Halm die Ungläubigkeit, und das zunehmende Entsetzen miterleben, als ihm langsam klar wird, daß er keine Ahnung hatte, wie seine Schwester in den letzten Jahren gelebt hat. Als Kinder hatten sie eine innige Beziehung, wobei Luise immer die Starke und aufmüpfige war, die sich viel stärker als er gegen den dominanten Vater auflehnte. Lennart hingegen ist zurückhaltend und hat ein starkes Bedürfnis nach Konsens und Zugewandtheit. Seit Luise mit 16 von zu Hause ausriss und kurze Zeit von einem sehr viel älteren Mann schwanger wurde, haben sie sich kaum noch gesehen, ihr Kontakt beschränkte sich auf Telefonate und e-mails, auch dies immer seltener. Neben dem Schock über den Tod seiner Zwillingsschwester muss Lennart verkraften, daß sie sich radikalisiert und sogar mit einem IS-Kämpfer ein Kind hat. Peter Henning macht nicht den Fehler, zu erklären, was Luise auf ihren Weg brachte, wir lesen das alles ausschließlich aus Lennarts Perspektive, der merkt, daß er nie erfahren und begreifen wird, was seine Schwester antrieb und der erkennen muss, daß er sie nicht mehr kannte. Ich finde es sehr gekonnt, wie Peter Henning diese komplexe Geschichte auf gerade einmal 172 Seiten verdichtet und mir so als Leserin ein sehr intensives Leseerlebnis verschafft hat.
Was mich nicht ganz überzeugen konnte ist eine Liebesgeschichte, die in den Roman eingebaut ist – auf sie hätte der Autor von mir aus auch verzichten können.
Fazit: Ein kompakter, sehr spannender und aktueller Roman. Die Entfremdung der Geschwister voneinander hat mich ebenso berührt und beschäftigt wie die fast kriminalistische Handlung, in die sie eingebettet ist. Sehr lesenswert!
Hier können Sie ein kurzes Interview mit Peter Henning lesen
Um sich einen Eindruck vom Stil des Buches zu verschaffen, können Sie hier einen Blick hineinwerfen
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