Erik, ein New Yorker Psychoanalytiker, und seine Schwester Inga, Autorin philosophischer Bücher, stossen im Nachlaß ihres verstorbenen Vaters auf ein Geheimnis, welches der Vater sein Leben lang gehütet hat. Bei dem Versuch es aufzudecken, tauchen sie in die Vergangenheit der Familie ein.
Erik, von seiner Frau verlassen und offensichtlich in der midlifecrisis, verliebt sich in seine schöne Untermieterin Miranda, die von einem geheimnisvollen Stalker verfolgt wird, der sie, ihr Kind und dann auch Erik heimlich fotografiert und die teils verfremdeten Fotos vor dem Haus deponiert.
Was stellenweise wie ein Krimi klingt, entpuppt sich als eine amerikanische Familiengeschichte, in der vor allem Erik und Inga im Mittelpunkt stehen. Beide leben in der Welt der New Yorker Intelektuellen. Inga ist frisch verwitwet von Max, einem bekannten Autor und Filmregisseur. Auch Max hatte seine Geheimnisse, denen Inga auf die Spur kommt, und die ihr Leben und das der gemeinsamen Tochter Sonja aufwühlen.
Der amerikanische Titel ‚The Sorrows of an American’ ist besser und interpretationsfähiger als die deutsche Übersetzung, geht es doch eher um die Trauer denn um die Leiden.
Siri Hustvedts legt in ihrem jüngsten Roman zunächst mehrere Spuren und Handlungsstränge, die fast surrealistisch wirken und deren Zusammenhang sich lange nicht erschließt und die dann irgendwie teils zu einem Gesamten zusammenkommen.
Die Stärke des Buchs liegt nicht in dieser Konstruktion, die streckenweise eher ermüdend und aufgeblasen wirkt, sondern in der psychologischen Beschreibung der Protagonisten. Besonders Erik in seiner Einsamkeit, seiner Trauer um den Vater und gleichzeitig in der Beschützerrolle für Inga, Sonja und Miranda, wird sensibel und tief gezeichnet. Inga muß als trauernde Witwe die Untreue ihres Mannes entdecken, seinen Nachlaß und ihre Intimität schützen. Sie bleibt als Charakter im Hintergrund und macht doch die stärkste Entwicklung in dem Roman durch
Wir erfahren auch von den Grenzgängen eines Analytikers, der sein eigenes Leben von dem seiner Klienten trennen muss, ohne sein persönliches Fühlen abzuspalten, und der selbst in der Therapie gespiegelt und dadurch erschüttert werden kann. Eriks sensibler Umgang mit seiner Schwester und Nichte sowie der kleinen Tochter Mirandas einerseits und seine Wut und Ohnmacht im Umgang mit dem Stalker, sowie sein männliches Bedürfnis nach Sex und Frauen andererseits machen den Roman lesenswert.
Wie schon in ‚Was ich liebte’ schreibt Siri Hustvedt aus der Sicht eines Mannes und flicht dabei ihr weibliches Erleben so ein, dass eine vielschichtige Gestalt entsteht.
Auch das Kind Miranda, das einen Vater sucht, und die junge Erwachsene Sonja, die ihre Entdeckung der Affaire ihres Vaters vor Inga geheimhielt und darüber nicht hinwegkommt, können sich die Leser/in gut vorstellen. Einige Nebenfiguren werden in ihrer Skurilität wunderbar beschrieben. Das Buch vermittelt etwas von dem Stil New Yorks und seinen verrückten Bewohnern.
Wer ‚Was ich liebte’ gern gelesen hat, mag in den ‚Leiden eines Amerikaners’ die Spannung und Geschlossenheit vermissen. Doch der Blick hinter die Kulissen der Menschen durch die empfindsame Beschreibung und die kleinen Seitenblicke wiegen dies Manko auf. Hier liegt Siri Hustvedts große Stärke!