Nauten ist ein bequemer, ehrgeizloser Mensch , der in allen Lebensbereichen versagt. Diesem Antihelden folgen wir von der hessischen Kleinstadt im Nachkriegsdeutschland bis in die satten 70ger Jahre in den Kneipen von München Schwabing und schließlich auf eine winzige ostfriesische Insel.
Dabei möchte er seit Kindheitstagen eigentlich nur eins: In Ruhe seinen Gedanken nachhängen und vom möglichen Leben träumen. Dann ist er hochzufrieden.Leider erfordert das praktische Leben Ziele und gewisse Anstrengungen. Nauten meint schon früh zu spüren, für so ein ‚normales‘ Leben einfach nicht geschaffen zu sein.
Zunächst strengt er sich an, seine bürgerlichen Vorstellungen zu verwirklichen: er macht Abitur, nach abgebrochenem Studium wird er Sachbearbeiter in einer Versicherung. Er heiratet und macht seine Hochzeitsreise nach Italien.
Doch Nauten spielt seine Normalität nur. In seiner Versicherung fühlt er sich ‚ wie ein Affe, der aus dem Urwald in ein Büro gerät, am Kronleuchter schaukelt und das Telefon beantwortet‘.
Keine seiner Tätigkeiten macht er zu seiner eigenen Sache. Folglich scheitert er.
Schließlich wird er Kellner in einem Fünfzigerjahre Café, wo er unerwartet Anerkennung findet, da er für die Münchener Schikeria ein skurriles Original verkörpert. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich nicht als Versager.
Nach wie vor träumt er davon, etwas Besonderes zu sein; so erfindet er sein Lebenswerk: die Entzifferung der Schmetterlinge, auf deren Flügeln er eine eigene bislang unentdeckte Schrift lesen will.
Mit großer Sensibilität und viel Humor versetzt sich der Autor in seinen Protagonisten, der sich den Anforderungen der Gesellschaft verweigert, indem er nur nach seinen eigenen Maßstäben lebt. Wir lernen das Lebensgefühl eines Menschen kennen, der immer Gast bleibt, der ‚zwischen den anderen gar nicht erst in Betracht kommt‘ und seine ‚schwebende Unzugehörigkeit‘ zwar wahrnimmt, sie aber lieber kultiviert anstatt sie zu überwinden.
Es „ging ihm öfters der Gedanke durch den Kopf, dass seine Innerlichkeit, auf die er sich so viel zugute hielt, etwas mit Schwäche zu tun habe…‘‘
Kennt nicht jeder von uns so einen wie Nauten? Intelligente Lebenskünstler mit hohen Idealen, die in jungen Jahren so sympathisch scheu und erfrischend anders sind, dann allerdings meist tragisch scheitern, wenn sie sich dem Erwachsenwerden hartnäckig verweigern. Nicht alle folgen wie Nauten dem Ehrenkodex, die Konsequenzen ihres (Nicht)- Tuns klaglos und dazu noch geduldig und freundlich zu tragen.
Ist Nauten tatsächlich so zufrieden mit sich wie er vorgibt? Oder macht er die Not zur Tugend? Nauten ist ein tragischer Held, er lebt so wenig, dass er nicht einmal sein ärgstes Leid spürt. Wie kommt ein Autor, der selbst täglich die Anforderungen des bürgerlichen Lebens in dem formellen Korsett des diplomatischen Dienstes erfüllt, auf die Idee, eine Figur wie Nauten zu erschaffen?
‚Die Entzifferung der Schmetterlinge‘ ist für alle, die einen liebevollen Blick auf die Mauerblümchen und langsamen Träumer unter uns werfen wollen, eine wunderbare und faszinierende Lektüre.