Ohne Buchhandlung leben in Zeiten von Corona
Was sind das gerade für Zeiten! Es schwang ja in den letzten 2 Jahren schon immer wieder ein Stück Wehmut in mir, wenn ich durch Vaihingen ging oder mit dem Rad fuhr, Kund*innen traf oder einkaufte. Ganz besonders, wenn ich im Lutzweg am Haus der Schiller Buchhandlung vorbei kam, an dem immer noch eines der Schilder prangt.
Aber seit Anfang März vergeht kein Tag, an dem wir nicht sagen „Gott sei Dank!“. Das, was den vielen Kolleg*innen, mit denen ich noch verbunden bin gerade abgefordert wird, ist etwas, was ich, da bin ich mir sicher, nicht mehr hätte bewältigen können. Nicht, weil ich keine Ideen gehabt hätte, sondern weil mir dazu einfach die Kräfte gefehlt hätten – körperlich und finanziell. Ich bewundere, was viele jetzt gerade auf die Beine stellen! Lieferdienste, digitale Beratungsgespräche am Regal der geschlossenen Buchhandlung, Buchtipps auf Youtube, Fotos in den sozialen Netzwerken von Lastenrädern, Wannen voller Bestellungen und mehr. Und die Kund*innen nutzen die Angebote! Vielleicht ist das eine der Chancen, die in dieser Krise liegen: Viele lernen noch viel, viel mehr zu schätzen, was vor ihrer Haustüre geboten wird.
Und was mache ich in dieser Zeit? Morgens erledige ich im Homeoffice meine Aufgaben für’s Schriftstellerhaus. Das sind nicht viele, denn die Präsenzzeit im Haus in der Kanalstrasse entfällt natürlich im Moment auch. Aber es gab eine kleine Premiere in der letzten Woche: Ich stellte auf Instagram eine Buchempfehlung als Video online.
Und dann bin ich die Hausfrau. Ich stelle Essenspläne auf und gehe einmal in der Woche einkaufen (das, was geht im Einzelhandel, nur das, was ich dort nicht bekomme, im Supermarkt). Und das möglichst zu Zeiten, in denen wenige unterwegs sind. Dabei ertappe ich mich manchmal durchaus bei merkwürdigen Verhaltensweisen: Dieses Zucken, wenn ich Nudelpackungen oder Tomatendosen sehe (nein, wir haben wirklich genug im Vorratsschrank, schon immer!) oder der reflexhafte Blick in’s Klopapierregal. Als neulich was drin lag, musste ich mir wirklich auf die Finger hauen, denn wir haben hier noch eine, bereits von 2 Wochen gekaufte 20er Packung hier liegen. Unangebrochen.
Wenn ich von meinem Ausflug in die „shoppingwelt“ dann zurück gekehrt bin, stelle ich zur vorher abgesprochenen Zeit ein Essen auf den Tisch für die Frau, die seit 2 Wochen im Homeoffice ist und von einem Telefonmeeting zum nächsten hetzt. Das ist etwas, was wir bewusst genießen – gemeinsame Zeit, die wir sonst nur am Wochenende haben, nicht nur beim Essen, sondern auch beim Gang durch den frühlingsprallen Garten, dem abendlichen Spaziergang über die Felder oder beim Lauschen von Igor Levit’s Hauskonzerten im Internet. Wir sind dankbar für unsere Wohnsituation (nahe zu Wald und Feld), dafür, daß sie einen Job hat, der bis jetzt noch gesichert ist – das alles empfinden wir als großes Privileg.
Zu versuchen, das zu sehen, was auch an guten Dingen passiert, das hilft sowieso. Zum Beispiel über die Tatsache hinweg, daß ich die Mutter im Betreuten Wohnen nicht besuchen darf. Telefonbesuche von mir und meinen Geschwistern helfen beiden Seiten, aber sie sind nur kläglicher Ersatz. Es macht bewusst, wie wichtig auch andere scheinbare Selbstverständlichkeiten sind: Der spontane Besuch bei Freunden, das ausgefallene Konzert oder der monatliche Stammtisch der Schillerinnen. All das werde ich zukünftig noch einmal ganz anders schätzen.
Und wie ist das mit dem Lesen? Nun ja, eigentlich wäre ja jetzt viel Zeit dafür denken Sie vielleicht. Aber ich gebe ehrlich zu, daß es mir in den letzten Tagen immer schwerer gefallen ist. Ich habe tolle Bücher hier liegen, aber es fehlt mir an der Konzentration. Für mehr als Krimis oder Jugendbücher reicht es im Moment nicht. Mich auf Themen wie künstliche Intelligenz oder den Bürgerkrieg in Nordirland auf hohem literarischen Niveau einzulassen, dazu ist der Kopf gerade einfach zu voll. Daran merke ich, daß diese Situation doch ein wenig an mir nagt.
Und dann kommt, zum Ende dieser Gedankensplitter hin, doch wieder Wehmut über die fehlende Buchhandlung auf. Denn über all das hätte ich mich sonst auch mit meinen Kundinnen und Kunden ausgetauscht, am Telefon, wenn sie telefonisch bestellt hätten oder persönlich, mit gebührendem Abstand, bei der Buchlieferung. So jedoch sitze ich am PC (dann, wenn keine Telefonmeetings stattfinden) und schreibe nieder, was mir durch den Kopf geht. Und manch eine*r von Ihnen, mit dem ich früher in der Buchhandlung gesprochen habe, liest es vielleicht sogar. Allen Lesenden jedenfalls wünsche ich Gesundheit und viel Nervenkraft für alles, was noch kommen mag!
Text und Bilder: Susanne Martin
P.S.: Wenn Sie Musik lieben und auf Twitter oder Instagram unterwegs sind, dann besuchen Sie doch auch einmal ein Hauskonzert von Igor Levit. Für uns ist es ein festes abendliches Ritual geworden – entweder live oder als Aufzeichnung. Was es damit auf sich hat, lesen Sie hier
Wenn mir die Informationsflut zu vielfältig wird und mich eher verwirrt, dann gehe ich zum NDR – Podcast von Prof. Christian Drosten und informiere dort über die neuesten Entwicklungen. Wohltuend sachlich und unaufgeregt.