Ludwig Uhland: Die Schlacht bei Reutlingen
Zu Achalm auf dem Felsen, da haust manch kühner Aar,
Graf Ulrich, Sohn des Greiners, mit seiner Ritterschaar;
Wild rauschen ihre Flüge um Reutlingen die Stadt,
Bald scheint sie zu erliegen, vom heißen Drange matt.“
Doch plötzlich einst erheben die Städter sich zu Nacht,
In’s Urachthal hinüber sind sie mit großer Macht,
Bald steigt von Dorf und Mühle die Flamme blutig roth,
Die Herden weggetrieben, die Hirten liegen todt.
Herr Ulrich hat’s vernommen, er ruft im grimmen Zorn:
„In eure Stadt soll kommen kein Huf und auch kein Horn!“
Da sputen sich die Ritter, sie wappnen sich in Stahl,
Sie heischen ihre Rosse, sie reiten stracks zuthal.
Ein Kirchlein stehet drunten, Sankt Leonhard geweiht,
Dabei ein grüner Anger, der scheint bequem zum Streit.
Sie springen von den Pferden, sie ziehen stolze Reihn,
Die langen Spieße starren, wohlauf! wer wagt sich drein?
Schon ziehn vom Urachthale die Städter fern herbei,
Man hört der Männer Jauchzen, der Herden wild Geschrei,
Man sieht sie fürder schreiten, ein wohlgerüstet Heer;
Wie flattern stolz die Banner! wie blitzen Schwerdt und Speer!
Nun schließ dich fest zusammen, du ritterliche Schaar!
Wohl hast du nicht geahnet so dräuende Gefahr.
Die übermächt’gen Rotten, sie stürmen an mit Schwall,
Die Ritter stehn und starren wie Fels und Mauerwall.
Zu Reutlingen am Zwinger, da ist ein altes Thor,
Längst wob mit dichten Ranken der Epheu sich davor,
Man hat es schier vergessen, nun kracht’s mit einmal auf,
Und aus dem Zwinger stürzet, gedrängt, ein Bürgerhauf’.
Den Rittern in den Rücken fällt er mit grauser Wuth,
Heut will der Städter baden im heißen Ritterblut.
Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt!S<
Sie haben da die Färber so purpurroth gefärbt!
Heut nimmt man nicht gefangen, heut geht es auf den Tod,
Heut sprützt das Blut wie Regen, der Anger blühet roth.
Stets drängender umschlossen und wüthender bestürmt,
Ist rings von Bruderleichen die Ritterschaar umthürmt.
Das Fähnlein ist verloren, Herr Ulrich blutet stark,
Die noch am Leben blieben, sind müde bis in’s Mark.
Da haschen sie nach Rossen und schwingen sich darauf,
Sie hauen durch, sie kommen zur festen Burg hinauf.
„Ach Allm—“ stöhnt’ einst ein Ritter, ihn traf des Mörders
Stoß —
Allmächt’ger! wollt’ er rufen — man hieß davon das Schloß.
Herr Ulrich sinkt vom Sattel, halbtodt, voll Blut und Qualm,
Hätt’ nicht das Schloß den Namen, man hieß’ es jetzt: Achalm.
Wohl kömmt am andern Morgen zu Reutlingen an’s Thor
Manch trauervoller Knappe, der seinen Herrn verlor.
Dort auf dem Rathhaus liegen die Todten all gereiht,
Man führt dahin die Knechte mir sicherem Geleit.
Dort liegen mehr denn sechszig, so blutig und so bleich,
Nicht jeder Knapp’ erkennet den todten Herrn sogleich.
Dann wird ein jeder Leichnam von treuen Dieners Hand
Gewaschen und gekleidet in weisses Grabgewand.
Auf Bahren und auf Wagen getragen und geführt,
Mit Eichenlaub bekränzet, wie’s Helden wohl gebührt,
So geht es nach dem Thore, die alte Stadt entlang,
Dumpf tönet von den Thürmen der Todtenglocken Klang.
Götz Weissenheim eröffnet den langen Leichenzug,
Er war es, der im Streite des Grafen Banner trug,
Er hatt’ es nicht gelassen, bis er erschlagen war,
Drum mag er würdig führen auch noch die todte Schaar.
Drei edle Grafen folgen, bewährt in Schildesamt,
Von Tübingen, von Zollern, von Schwarzenberg entstammt.
O Zollern! deine Leiche umschwebt ein lichter Kranz:
Sahst du vielleicht noch sterbend dein Haus im künft’gen Glanz?
Von Sachsenheim zween Ritter, der Vater und der Sohn,
Die liegen still beisammen in Lilien und in Mohn,
Auf ihrer Stammburg wandelt von Alters her ein Geist,
Der längst mit Klaggebärden auf schweres Unheil weist.
Einst war ein Herr von Lustnau vom Scheintod auferwacht,
Er kehrt’ im Leichentuche zu seiner Frau bei Nacht,
Davon man sein Geschlechte die Todten hieß zum Scherz,
Hier bringt man ihrer einen, den traf der Tod in’s Herz.
Das Lied, es folgt nicht weiter, des Jammers ist genug,
Will Jemand Alle wissen, die man von dannen trug:
Dort auf den Rathhausfenstern, in Farben bunt und klar,
Stellt jeden Ritters Name und Wappenschild sich dar.
Als nun von seinen Wunden Graf Ulrich ausgeheilt,
Da reitet er nach Stuttgart, er hat nicht sehr geeilt;
Er trifft den alten Vater allein am Mittagsmahl,
Ein frostiger Willkommen! kein Wort ertönt im Saal.
Dem Vater gegenüber sitzt Ulrich an den Tisch,
Er schlägt die Augen nieder, man bringt ihm Wein und Fisch;
Da faßt der Greis ein Messer, und spricht kein Wort dabei,
Und schneidet zwischen Beiden das Tafeltuch entzwei.
Die letzten Wochen herrschte wunderbares Frühlingswetter, die ersten Blumen erblühten, an Sträuchern und Bäumen brachen die Knospen auf. Den Farbenrausch dieser Jahreszeit liebe ich jedes Jahr aufs Neue und halte sie gerne in Bildern fest. Aber immer noch erschien es mir unpassend, jetzt ein Frühlingsgedicht auszuwählen, denn es liegt eine dukle Wolke über dieser Zeit weil nicht weit von uns ein Krieg tobt. Ich empfand diesen Gegensatz besonders bei einem Gang auf die Achalm bei Reutlingen. Im Abendlicht herrliche Blicke auf die Schwäbische Alb – daß nur 2000 Kilometer von uns entfernt Bomben fallen, diesen Gegensatz fanden wir so unwirklich. Aber diesen Gegensatz gab es schon immer und deshalb habe ich zur Abendstimmung dieses Tages eine Ballade von Ludwig Uhland ausgewählt, die die Schlacht beschreibt, die 1377 am Fusse der Achalm tobte (und ihr der Legende nach ihren Namen gab*). Man liest sie angesichts der Bilder aus der Ukraine anders – finde ich jedenfalls.