Literatur im Salon: Lesung mit Friederike Gösweiner
Meine zweite Salonlesung führte mich in den Stuttgarter Westen. Während wir beim letzten Mal hoch über den Dächern von Degerloch zu Gast waren, verbarg sich der Lesungsort dieses Mal hinter den Mauern eines mehrstöckigen Jugendstilhauses. Am Hauseingang meldete ein Schild: „Durch die Garage zum Garten.“
Die ca 15 Gäste, die sich an diesem heißen Sommerabend trotz Blutmond für die Literatur entschieden hatten, konnten in einem kleinen Paradies mitten in der Stadt Platz nehmen: Hortensien, Rosen und noch mehr Blumen blühten, bunte Glühbirnen sorgten für ein anheimelndes Ambiente und für die Gäste standen bequeme und etwas kargere Sitzgelegenheiten bereit. Ich fand es beeindruckend, wie relativ ruhig es trotz der zentalen Lage war: Zwar hörte man spielende Kinder nebenan, aus der Ferne wehten Klänge eines Konzerts herüber, aber das hielt sich alles im Rahmen.
Später am Abend und in der Nacht sei das allerdings oft anders, verriet uns die Gastgeberin und zudem sei dieses Paradies sehr arbeitsintensiv. Es kostete viel Zeit und Energie, es so zu gestalten, wie wir es genießen konnten, denn unter der Erde verbirgt sich jede Menge Schutt aus der Nachkriegszeit. Das macht die Bepflanzung und Pflege der Beete sehr mühsam.
Zu Gast war die österreichische Autorin und Literaturwissenschaftlerin Friederike Gösweiner, auch sie eine ehemalige Stipendiatin des Stuttgarter Schriftstellerhauses. Sie stellte ihren Roman „Traurige Freiheit“ vor, für den sie 2016 mit dem Debütpreis des Österreichischen Buchpreises ausgezeichnet wurde. Dies ist zwar ihr erster Roman, aber nicht ihre erste Veröffentlichung, wie sie im Gespräch mit Astrid Braun betonte: Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit hat sie ebenso veröffentlicht wie als Journalistin.
Wir lernten an diesem Abend die kreative Seite von Friederike Gösweiner kennen, die aus Paris angereist war, wo sie für ihren nächsten Roman recherchierte. Worum es darin geht, mochte sie uns nicht verraten, nur daß es sich um einen Familienroman handeln wird, konnte Moderatorin Astrid Braun ihr entlocken. Immerhin erfuhren wir dann doch noch, daß sie bald zu weiteren Recherchen nach Griechenland reisen wird, wo ein Teil dieses Romans ebenfalls spielen wird. Solche Aufenthalte vor Ort sind der Autorin wichtig: „Man findet am meisten, wenn man nicht sucht.“
Der Roman „Traurige Freiheit“
Hannah möchte Journalistin werden und hat ein Angebot aus Berlin für ein Volontariat. Ihr Freund Jakob, mit dem sie zusammen in Österreich lebt, möchte nicht, daß sie dieses Angebot annimmt, schließlich verdient er als Arzt genug für sie beide. Aber Hannah möchte unbedingt nach Berlin, sie möchte ihren eigenen Weg gehen und nicht die Arztgattin geben. Dafür nimmt sie auch die Trennung von Jakob in Kauf. Doch sie muss die bittere Erfahrung machen, daß nach dem Volontariat Schluß ist – lediglich ein gelegentlicher Auftrag als Freie wird ihr von ihrer Abteilungsleiterin vage in Aussicht gestellt. Alleine in der Wohnung einer Freundin lebend gerät Hannah immer mehr unter Druck, muss als Kellnerin jobben und empfindet sich zunehmend als nutzlos. Wir begleiten als Leser*innen Hannah 1 Jahr lang auf der Suche nach ihrem eigenen Weg.
Porträt einer verlorenen Generation
In der Begründung der Jury des Österreichischen Buchpreises heißt es: „Der Roman ist so auch das Porträt einer neuen ‚verlorenen Generation‘ zwischen Praktikum und Prekariat, zwischen Freiheitstraum, Hoffnung auf Leben, Einsamkeit und der Empfindung der Nutzlosigkeit.“ Friederike Gösweiner zeigt, wie schwierig es oft ist, mit einer guten Ausbildung ins Berufsleben zu gelangen. Ihre Protagonistin Hannah bewegt sich dabei in einem Spannungsfeld, in dem viele ihrer Generation unterwegs sind: Der Forderung nach höchstmöglicher Flexibilität im Beruf stehen die Bedürfnisse nach Liebe, fester Bindung und Familie gegenüber. Hier stehen Frauen noch einmal anders unter Druck als Männer. Das Buch ist aber auch ein Trennungsbuch, denn Hannah muß das Alleinsein lernen. Durch die neuen Möglichkeiten der Kommunikation sei das viel schwieriger geworden meint Friederike Gösweiner. Das Provisorische macht es Hannah unmöglich, in ein neues Leben hineinzugleiten.
In ihrem Roman verarbeitet die Autorin auch eigene Erfahrungen. Sie hat erfolgreich studiert und promoviert und wurde nicht nur mit dem Ehrenring der Republik Österreich ausgezeichnet, sondern auch mit dem Wissenschaftspreis der Stadt Innsbruck. Dennoch war für sie nach der Promotion zuerst einmal Schluß. Ein Schicksal, das sie mit vielen anderen teilt, von dem aber niemand so recht etwas wissen möchte: Als sie in einem Interview mit einer Journalistin auf die Frage, was sie denn jetzt machen werde, antwortete, sie sei arbeitslos, wurde im Artikel dann von einer „Auszeit“ geprochen.
„Ich wollte wissen, was man schreiben muss, um veröffentlicht zu werden“
Das war die Motivation für die Österreicherin, sich in das erzählerische Genre zu wagen. In ihrer Dissertation über die „Einsamkeit in der jungen deutschsprachigen Literatur“ konnte sie nicht das ausdrücken, was sie wirklich sagen wollte. So suchte sie nach der richtigen Form für das Thema, das sie behandeln wollte. Dabei verzichtete sie ganz bewußt auf die Teilnahme an Literaturwettbewerben oder an Kursen zum kreativen Schreiben. Sie scheint ihre Form gefunden zu haben, denn ihr unaufgefordert eingeschicktes Manuskript wurde vom Droschl Verlag angenommen. Daß das in Österreich wahrscheinlich einfacher ist als in Deutschland räumte Friederike Gösweiner ein: In Österreich werden Verlage ganz anders gefördert als in Deutschland und das macht sie ein Stück weit unabhänger vom Erfolg. Maximale Unabhägigkeit ist auch ihr wichtig – für ihren neuen Roman wollte sie keinen Vorschuss und wo er erscheinen wird, ist noch offen.
„Traurige Freiheit“ jedenfalls war ein sehr erfolgreiches Debüt – es wurde in der Presse positiv aufgenommen und sogar von einer Jury ausgewählt für das Projekt „Innsbruck liest ein Buch“. Dieses Projekt organisiert das Schriftstellerhaus auch in Stuttgart, aber in Innsbruck gibt es über Veranstaltungen hinaus noch ein besonderes Bonbon: Dank der Förderung durch Institionen und Sponsoren wird eine Sonderausgabe des ausgewählten Buches in einer Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt und kostenlos in der Stadt verteilt.
Lesung und Gespräch boten viel Anregung und im Anschluß gab es noch die Möglichkeit zum Austausch. Aber mich und meine Begleitung zog es dann doch hinaus in die Nacht – wir wollten uns den Blutmond nicht entgehen lassen. Nach einem Ausflug auf das bevölkerte Oberaichener Feld saßen wir dann noch lange im kühlen Garten, schauten auf Mond und Mars und diskutierten dabei über das Gehörte.
Wenn Sie Lust bekommen, das Buch zu lesen, können Sie es in der Buchhandlung buch+musik in Stuttgart-Vaihingen zur Abholung oder als E-Book bestellen
Text und Bilder: Susanne Martin