Überleben hoch drei. Autorinnenleben im literarischen Gespräch
Überleben hoch drei – unter diesem Motto stand ein Abend, zu dem die BücherFrauen Stuttgart am 21.Mai 2025 gemeinsam mit dem Förderkreis der Schriftsteller:innen in Baden-Württemberg und dem Stuttgarter Schriftstellerhaus in die Stadtbibliothek am Mailänder Platz eingeladen haben. Inspiriert vom Motto ÜBER LEBEN des 2. Literaturfestivals Stuttgart waren drei Baden-Württembergische Autorinnen zu Gast: Elfi Conrad, Theres Essmann und Grit Krüger. Sie sprachen mit Caroline Grafe über ihre Romane, in denen die Schicksale von Frauen im Mittelpunkt stehen, die jede auf ihre eigene Art ums Überleben kämpfen und auch durch die Kraft des Erzählens einen Ausweg finden.
In „Schneeflocken wie Feuer“ rebelliert Elfi Conrads Heldin Dora gegen die spießige gesellschaftliche Stimmung der Bundesrepublik Anfang der 60er Jahre und das, was die Gesellschaft für sie vorgesehen hat: Heiraten und Kinder bekommen. Bereits in der Schule erlebt sie, dass bei Mädchen Ehrgeiz und das Ziel, eine Berufstätigkeit anzustreben mit schlechteren Noten bestraft wird und beschließt, sich zu rächen. Ihr Opfer soll der Musiklehrer sein, den sie verführen will, obwohl er einer der wenigen Menschen in ihrem Umfeld ist, der sensibel und verständnisvoll mit den Schülerinnen umgeht. Die doppelte Erzählhaltung, die die Autorin für ihren Text gewählt hat, spielt zwischen dem jüngeren und älteren Ich und sie wollte darin auch die Enge der Kleinstadt zeigen, die sie selbst als jungen Frau erlebt hat. Im Gespräch wurde deutlich, dass in diesem Roman viele persönliche Erfahrungen eingeflossen sind. Während die junge Dora selbst noch gar nicht bemerkt, wie sie in ihrem Verhalten das Rollenbild der Frau erfüllt, durchschaut das ältere Ich alles.
Theres Essmann wollte in ihrem Roman „Dünnes Eis“ ursprünglich über eine jüngere Frau schreiben und dieser eine Ältere an die Seite stellen. Doch bei der Recherche, während der sie viele Gespräche mit hochaltrigen Menschen führte, drängte sich die ältere Frau immer mehr vor und wurde schließlich zur Hauptfigur. Ihre Protagonistin steht kurz vor ihrem 100. Geburtstag und erinnert sich an ihr Überleben in Kriegszeiten und danach. Bei der Arbeit am Text fragte sie sich immer wieder „Darf ich das überhaupt, aus dieser Perspektive schreiben?“ Die individuellen Gespräche halfen jedoch, wirklich authentisch zu schreiben und nicht in Klischees zu verfallen. Mitten im Schreibprozess begann der Ukrainekrieg und gab eine Ahnung von der Stimmung und der Atmosphäre der Zeit, in der ihre Hauptfigur lebte. Sie bemerkte: Dieser Stoff ist auch heutig, Fluchterfahrungen und sexualisierte Gewalt sind in ihrer Rohheit übertragbar und noch heute ist sexualisierte Gewalt eine Kriegswaffe.
Grit Krüger schließlich erzählt in ihrem Roman „Tunnel“ in vier Stimmen von der Suche ihrer Hauptfigur Mascha nach Wegen, aus den prekären Verhältnissen, in denen sie mit ihrer Tochter Mascha lebt, herauszufinden. Sie ist auf der Suche nach Weite und Würde, den Kontrast zu dieser Sehnsucht bildet der Tunnel, der in diesem Buch auch gebaut wird. Dieser Kontrast spiegelt sich übrigens auch in der besonderen Gestaltung des Umschlags wieder.
Caroline Grafe moderierte souverän und nahm die Texte zum Anlass über die Arbeit am Text hinaus auch über die Frage zu sprechen, ob und in welcher Form Literatur zu einer zeitgemäßen Erinnerungskultur beitragen kann. Einig waren sich alle darin, dass Literatur in den Lesenden vor allem Mitgefühl wecken kann, Grit Krüger formulierte es so: „Literatur ist Jogging für die Empathie.“ Denn im Gegensatz zu den schnelllebigen Medien, die von Algorithmen getrieben sind und auf vieles nur Schlaglichter werfen, nehmen sich literarische Texte Zeit, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, Zwischentöne auszuhalten und so etwas Neues zu erschaffen.
Es waren anregende anderthalb Stunden, die wie im Fluge vergingen und alle waren sich einig, dass noch viel mehr hätte besprochen werden können. Das konzentriert zuhörende Publikum dankte den Akteurinnen mit lang anhaltendem Applaus und nutzte die Gelegenheit, manches noch im direkten Gespräch zu klären oder sich Bücher signieren zu lassen.