Schon lange wollte ich etwas von Alice Munro lesen. Zwar hatte ich vor vielen Jahren mal in ein Buch von ihr reingeschaut, aber es ist mit nicht viel davon in Erinnerung geblieben. So war es schön, daß sich der Literaturkreis anlässlich der Nobelpreisehrung für die Autorin entschied, ein Buch von ihr zu lesen.
Zehn Erzählungen sind in diesem Band versammelt, sie alle erzählen von Menschen, die irgendwie aus der Bahn ihres „normalen“ Lebens geworfen werden. Da ist z.B. Doree, die regelmäßig ihren Mann im Gefängnis besucht, obwohl er die 3 gemeinsamen Kinder umgebracht hat. Oder die Witwe, die schwer krebskrank einen Handwerker ins Haus lässt, der sich als flüchtiger Mörder entpuppt und die trotz der Todesnähe den ungebetenen Gast hinters Licht führt, um noch eine Weile weiterleben zu können. Beeindruckt hat mich auch die Geschichte einer Mädchenfreundschaft, die ein schreckliches Geheimnis birgt und die beiden Mädchen für immer voneinander entfernt.
Alle Geschichten in diesem Band sind präzise und mit großer Distanz zu den Figuren erzählt, vieles bleibt offen und somit bleibt auch viel Raum für eigenes Weiter- oder Nachdenken. Eigentlich ist jede dieser Geschichten ein kleiner Roman, man fragt sich beim Lesen manchmal, warum andere AutorInnen so viele Sätze benötigen, um ihre Geschichten zu erzählen.
Manche Geschichten, das muss ich aber auch zugeben, haben mich kalt gelassen und sich mir nicht erschlossen. Dazu gehört auch die letzte Erzählung, die dem Buch seinen Titel gab: „Zu viel Glück“. Hier verlässt die Autorin auch die Umgebung, in der sonst alle ihre Geschichten spielen, die kanadische Porvinz Ontario. Die Erzählung über die russische Mathematikerin Kowalewskaja ist eine biographische Skizze über die letzten Lebenstage der Wissenschaftlerin, in die in Rückblenden weitere Episoden aus ihrem Leben eingestreut sind. Vielleicht lag es genau daran, daß Alice Munro hier ihre Heimat verlassen hat, deren Menschen sie so gut kennt und sich auf ein anderes Terrain begeben hat, daß mich diese Erzählung kalt gelassen hat.
Insgesamt jedoch ist Alice Munro eine echte Entdeckung für mich, der nächste Band mit Erzählungen von ihr liegt schon bereit! Leseempfehlung!