Lizzie Doron ist eine israelische Autorin, die ich sehr schätze und von der ich schon einiges gelesen habe. In ihren Romanen reflektiert sie über die Shoah und ihre Auswirkungen auf die Überlebenden und die nachfolgenden Generationen, aber sie setzt sich in ihren letzten Romanen auch mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt auseinander. Sie meldete sich immer wieder kritisch über die aktuelle Regierung zu Wort und nahm an den Demonstrationen gegen die geplante Justizrefomr in Israel teil. Wie geht diese Autorin um mit der Zäsur, die der 7. Oktober für Israel und die Palästinenser markiert um? Das habe ich immer wieder einmal gedacht und wurde durch ein Gespräch mit ihr im Deutschlandfunk auf ihr neues Buch aufmerksam.
Wie schon der israelische Krimiautor Dror Mishani begann sie unmittelbar nach dem 7. Oktober damit, Tagebuch zu schreiben. Es sind unmittelbare Einblicke in das Leben, das nach dem Massaker der Hamas nicht mehr so ist, wie es zuvor war. In kurzen Einträgen tauchen wir ein in den Alltag und in die Gefühlswelt von Lizzie Doron, ihrer Familie und ihres Freundeskreises. Wir erleben absurde Szenen im Bunker, die Begegnung mit einem Überlebenden, der eine Wohnung sucht, die hell und groß sein muss, weil seine Frau nach der Zeit im Schutzraum keinen dunklen Raum mehr erträgt, die Shiv’a, die ihre Hausgemeinschaft für Mutter und Schwester eines in Gaza gefallenen Soldaten sitzt. Wie Dror Mishani schreibt auch sie Nachrufe für Opfer des Massakers, für Menschen, die sie nicht kannte und von denen sie nur wenige Stichworte zugeschickt bekommt.
Durch alle Einträge zieht sich die totale emotionale Verstörtheit, die sie erlebt, die Ratlosigkeit, wie sich das Leben in Israel, dem Land, in dem sie sich wie ihre Landsleute, sicher gefühlt hat, weiter leben lässt. Ihre Tochter verlässt mit ihrer Familie das Land und geht in die USA, der Kontakt zu ihrem palästinensischen Freund Muhammad, den wir aus dem Buch „Sweet Occupation“ kennen, bricht ab – zu tief sind die Gräben, die sich zwischen ihnen aufgetan haben. Gerade weil Lizzie Doron eine Israelin ist, die sich vehement für die Verständigung zwischen Israeli und Palästinensern einsetzt, bekommen die Lesenden durch diese ungeschminkten Texte einen Einblick in die ihre innere Zerrissenheit: „Ich wollte, dass unsere Realität erzählt wird. Dass man die Dringlichkeit spürt, die Wut, die Frustration, die Verzweiflung – und die Sehnsucht nach Normalität, das tiefe Bedürfnis nach Hoffnung und danach, endlich wieder Mitleid zu empfinden, endlich wieder lieben zu können.“ schreibt sie in ihrem Nachwort.
Ein Buch, das mich zutiefst bewegt hat, eindringlich, berührend, manchmal humorvoll und voller Menschlichkeit. Während sich Dror Mishani der Tragödie auch über die Literatur nähert, nennt Lizzie Doron ihr Schreiben ein antiliterarisches Schreiben und ein gestörtes Schreiben ohne die Ruhe, die notwendig ist für das Schreiben. Genau deshalb ging mir dieses Tagebuch besonders unter die Haut. Große Leseempfehlung!
Wenn Sie das Buch lesen möchten, können Sie es im Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Der Link führt direkt zum Titel im Webshop.
Hier können Sie einen Blick ins Buch werfen
Auf 3sat gibt es ebenfalls ein Gespräch mit Lizzie Doron über ihr Buch (Video, 9 Minuten, verfügbar bis 17.4.2027)