Von Sasha Filipenko hatte ich letztes Jahr „Rote Kreuze“ gelesen und es war ein Buch, das mich damals beeindruckt hat. Und so war ich gespannt auf seinen „neuen“ Roman. Neu steht deshalb in Anführungszeichen, weil er nur auf Deutsch neu ist – in Russland ist er bereits 2016 erschienen und war für 2 russische Literaturpreise nominiert. Erstaunlich eigentlich, wenn man das Buch heute liest.

Der Inhalt

Wolodja Slawin ist ein russischer Oligarch, dessen Familie an der Cote d’Azur lebt. Die Kinder gehen auf französische Eliteschulen und verbringen die Ferien auf der Yacht des Vaters. Den sehen sie überwiegend in Interviews des russischen Fernsehens, in denen er über die Ineffeizienz der Demokratie spricht und über die Notwendigkeit, die Welt auf der Basis orthodoxer Prinzipien zu verändern. Es passt wenig, daß der junge russische Investigativjournalist Anton Quint in Artikeln darüber schreibt, wie die Familie des Millonärs lebt. Slawin beauftragt 2 junge Männer, Quint das Leben so unerträglich zu machen, daß er das Land freiwillig verlassen wird.

Meine Meinung

Das ist ein hartes, dunkles und desillusionierendes Buch, das durch die momentane Situation eine ganz besondere Aktualität bekommt. Es führt seine Leser:innen tief in ein Russland, über das zumindest ich wenig bis nichts wusste. Aus mehreren Perspektiven beschreibt er, wie zwei junge Männer, Lew und Kola, Quint erbarmungslos unter Druck setzen, ihm sein Leben unerträglich machen. Lew ist der Sohn eines Ex-Oligarchen, der in der russischen Finanzkrise 1998 sein Vermögen verloren hat und mit seiner Familie in eines der St. Petersburger Vorstadtreviere zieht, in denen Drogendealer und Junkies den Ton angeben. Er verkraftet diesen sozialen Abstieg nicht, findet aber in Kola, dessen Familie auf grausame Weise umgebracht wird, einen Freund. Kola ist es auch, der schon als Kind Kontakt zu Slawin hatte. Nachdem Lew seinen Job als ziemlich korrupter Journalist einer Sportzeitung verloren hat bietet ihm Kola den Joba bei Slawin an –  Lew, dessen Ränkespiele ihn bis in die Position des Chefredakteurs gebracht haben schein genau der Richtige zu sein, Quint zu vertreiben.

Sasha Filipenko hat seinen Roman in der Sonatenhauptsatzform angeordnet – ein merkwürdiger Gegensatz zu seinem dunklen Inhalt. Und so wie eine Sonate mehrstimmig ist, ist es auch dieser Roman. Nicht nur Lew kommt zu Wort, sondern auch Quint, der nicht nur kritische Artikel schreibt, sondern auch an einer dystopischen Erzählung, und Alexander, einer der Söhne Slawins. Das ist zu Beginn etwas verwirrend und es hat etwas gedauert, bis ich die verschiedenen Stränge einordnen konnte, aber als Lew zu Wort kommt und seine Erzählung beginnt, ergaben auch die einzelnen Motive zuvor – um im Bild der Sonate zu bleiben – einen Sinn. Dabei liest sich das Buch sehr spannend, trotz aller Grausamkeit, die darin beschrieben wird. Im russischen Original heißt das Buch „Trawlja“ – Hetze. Das trifft für meinen Geschmack die Stimmung des Buches eigentlich besser. Und wie bei einer Hetze bleibt dem Opfer kaum ein Ausweg und auch die Leserschaft kann nicht auf ein gutes Ende hoffen.

Fazit: Ein Buch, dem ich mich streckenweise schwer aussetzen konnte, weil es durch die momentane Lage in der Ukraine viel näher an mich heranrückte, als das sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Und, auch das soll noch gesagt sein: Zustände wie sie Filipenko beschreibt, gibt es sicher auch in anderen Ländern, wenn auch vielleicht nicht in dieser extrem engen Verquickung von Geld und Macht wie in Russland. Auf jeden Fall: Absolut lesenswert!

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