Der Vorgänger-Roman der Autorin „Fünf Tage im Mai“ hatte mir sehr gut gefallen und ich war gespannt, wir es mir mit ihrem neuen Roman ergehen würde.

Auch er spielt wieder in Tirol in der Region Kitzbühel. Da wir dort ein Ferienhaus haben, ist es für mich immer besonders schön, Lektüre zu finden, die dort spielt. Auch dieses Mal sind wieder schöne und stimmungsvolle Landschaftsbeschreibungen im Buch dabei. Und darum geht’s:

Marie lebt bei ihrer Tante Hella in einem kleinen Tiroler Dorf nahe Kitzbühel. Die Tante ist Witwe und Marie, die das Dorf nach der Schule verlassen hat, um in Wien zu studieren, hat ihren Job dort aufgegeben, um die Präparationswerkstatt ihres verstorbenen Onkels fortzuführen. Von Kindesbeinen an hat sie viel Zeit mit ihm in seiner Werkstatt verbracht. Dort haben sie sich verstanden, sonst war der Onkel ein Grobian und Säufer. Eines Tages bekommt sie einen lukrativen, aber anspruchsvollen Eilauftrag: Sie soll den Schoßhund einer reichen Hoterlierstochter ausstopfen. 12 Stunden hat sie Zeit, am Abend, zur Geburtstagsparty muss sie fertig sein. Während der Arbeit erinnert sie sich auch an Youni, ihre große Liebe, die wenige Wochen zuvor ums Leben kam. Und dann steht plötzlich die Butz vor der Tür, die eigentlich Ursula heißt und die Tochter des Esel-Meyer ist. Wie Marie hat sie das Dorf irgendwann verlassen und jetzt kommt sie zurück, um etwas abzuholen, das Marie von Youni hat.

Mit diesem Roman musste ich mich erst anfreunden. Ich brauchte 2 Anläufe, um ihn fertig zu lesen. Mit Marie steht auch dieses Mal wieder eine junge Frau im Mittelpunkt, die eigentlich eine Außenseiterin ist: Ihre Eltern kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben und Onkel und Tante haben sie bei sich aufgenommen. So richtig akzeptiert war sie jedoch nie im Dorf, stets schwarz gekleidet und mit Ohrstöpseln unterwegs hatte sie ihren Spitznamen Bloody Mary schnell weg. Als dann Youni ins Dorf kam, dem jugoslawischen Bürgerkrieg entflohen, mit gewinnendem Lächeln, wird er zum Schwarm aller Mädchen. Auch Marie verliebt sich sofort in ihn, aber mit der Zeit entwickelt sich etwas viel wertvolleres zwischen den Beiden: Freundschaft. Aber Youni driftet ab ins Party- und Drogenmilieu des Stadels, wie Kitzbühel von den Dörflern genannt wird und als Marie nach Wien geht, verlieren sie sich aus den Augen. Bis der Zufall in Gestalt einer Kiste Marihuana sie wieder zusammenbringt.

Mit der Präparationswerkstatt wird auch dieses Mal ein Traditionshandwerk in den Blickpunkt geholt. Aber während die Jäger im Dorf Maries Onkel ihre Tiere gerne zum Ausstopfen gebracht haben, nehmen sie eine jungen Frau in diesem Beruf nicht ernst. Die Szenen, in denen die einzelnen Schritte des Präparierens geschildert werden, haben, das muss ich zugeben, einen gewissen Ekelfaktor. Da war mir das Fassbinden im Vorgängerroman schon lieber.

Aber als die Butz dann die Szene betritt und Marie bei der Suche nach einem passenden Sockel für das Tier begleitet, nimmt der Roman deutlich an Fahrt auf. Die Butz war mit Youni befreundet und kann Marie einiges über ihn erzählen. Gleichzeitig merken die beiden Frauen, dass sie sich beide an den patriarchalen und konservativen Strukturen des Dorfes reiben und abarbeiten. Beide waren und sind sie Außenseiterinnen, die eine Art Hassliebe mit ihrer Heimat verbindet, niemand nimmt sie ernst und der Tod von Youni wird totgeschwiegen. Auf der gemeinsamen Suche nach dem Sockel an einer Felswand brechen alte Emotionen auf: Butz sieht aus der Höhe ihr Elternhaus liegen, einen Bauernhof, den sie gerne übernommen hätte, den der bankrotte Vater viel zu billig an ein pensioniertes deutsches Ärzteehepaar verkauft hat.  In dieser Szene wird das ganze Dilemma einer Gegend, in der die Einheimischen immer mehr der Geldmacht von Zugezogenen ausgeliefert sind, deutlich. Und als sie dann kurz danach in einer Alm noch ihren alten Lehrern aus der Schulzeit begegnen, brechen nach ein paar Schnäpsen alle Dämme.

Wie schon der Vorgängerroman ist auch dieser ungewöhnlich aufgebaut: Nach dem ersten Kapitel, das mit einem großen Knall endet, geht die Nummerierung, wie bei einem Countdown, von 9 an weiter nach unten. Die Handlung umfasst nur einen Tag und durch den Knall am Anfang baut sich ein Spannungsbogen auf, der mich dann doch durchhalten ließ und je weiter ich im Roman kam, desto mehr hat mich die Handlung gefesselt. Das liegt auch daran, dass Elisabeth R. Hager mit Humor erzählt und so zwischen dramtischen und leichten Momenten wechselt. Dabei gelingt es ihr wirklich hervorragend, die Untiefen der vermeintlichen Tiroler Idylle aufzuzeigen. Zudem flicht sie sehr stimmungsvolle Natur- und Landschaftsbeschreibungen ein, die mir, die ich die Gegend gut kenne, natürlich besondere Freude gemacht haben.

Fazit: Ein vielschichtiger Roman, auf den ich mich nicht so leicht einlassen konnte, wie auf den Vorgänger, den ich jedoch letztendlich mit großem Gewinn gelesen habe!

Wenn Sie sich einen Eindruck von Stil und Sprache des Romans machen möchten, finden Sie hier eine Leseprobe

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