Ich hatte wieder einmal Glück bei einer Verlosungsaktion bei Lovelybooks und gewann ein Freiexemplar des neuen Thrillers von Marc Elsberg. Zwei Bücher habe ich von ihm schon gelesen, „Blackout“ begeisterte mich und für seinen Roman „Zero“ erhielt der Autor 2015 den Wirtschaftspreis der Stuttgarter Kriminächte und ich durfte damals bei der Verleihung die Laudatio halten. Marc Elsberg steht für sorgfältig recherchierte Thriller mit hohem Spannungsfaktor und ich war gespannt, was mich dieses Mal erwarten würde.

Der Inhalt

Athen in einer nicht allzufernen Zukunft (aber auf jeden Fall nach Corona): Am Flughafen wird der ehemalige amerikanische Präsident Douglas Turner im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofes von der griechischen Polizei festgenommen. Der Grund: Kriegsverbrechen. Sofort nach der Festnahme beginnen hektische Aktivitäten: Der aktuelle Präsident steckt mitten im Wahlkampf – nichts kommt ihm ungelegener als ein Skandal dieses Ausmaßes. Mit diplomatischen Mitteln und wirtschaftlichem Druck auf Griechenland und Europa versucht er, Turner frei zu bekommen.

Dana Marin wiederum, die Vertreterin des Internationalen Gerichtshofes vor Ort hat jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet. Mit Hilfe eines griechischen Anwalts und der griechischen Staatsanwaltschaft soll es ihr gelingen, daß Turner nach Den Haag ausgeliefert wird. Ihr Problem: Die amerikanische Regierung erkennt die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes für US-Bürger nicht an.

Wird es gelingen, Turner tatsächlich in Den Haag vor Gericht zu stellen? Eines jedoch ist am Ende des Buches auf jeden Fall klar: Das ist nicht nur der juristische Fall des Präsidenten, sondern auch der tiefe Fall eines einst mächtigen Mannes im Ansehen der Weltöffentlichkeit.

Meine Meinung

Marc Elsberg versteht sein Handwerk: Dieser Thriller ist spannend und voller gut recherchierter Fakten. Er spinnt dabei mehrere Handlungsfäden:

Da ist Dana Marin, die mit ihren Eltern aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen ist. Sie kämpft leidenschaftlich um Gerechtigkeit für die zahlreichen zivilen Opfer der Kriege im Irak, Afghanistan und anderen Bürgerkriegsregionen. Schnell gerät sie ins Visier der amerikanischen Entourage, die versucht, sie mit allen Mitteln zu diskrediterien und ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern.

Parallel dazu lesen wir von Steve, einem Amerikaner, der in Deutschland lebt und ein Geheimnis zu haben scheint. Nach und nach stellt sich heraus: Er hat dem ICC ein Video zugespielt, das eine entscheidende Rolle in der Beweisführung gegen Turner spielen soll. Nach der Festnahme von Turner droht seine Identität aufzufliegen und er weiß, was Whistleblowern in Amerika blühen kann.

Sean Delmario ist ehemaliger Soldat, arbeitet als Securitymann und ist bekannt dafür, besonders kniffelige Aufträge professionell und zuverlässig auszuführen. Ein lybischer Millionär beauftragt ihn, Turner aus dem Gefängnis zu befreien. Er stellt eine Trupe zusammen und macht sich an das scheinbar aussichtslose Unterfangen.

Diese Handlungsfäden verknüpft Elsberg geschickt, baut immer wieder Rückblenden ein, die sowohl in Dana’s, Steve’s als auch Seans Vergangenheit führen. Es gibt noch jede Menge weiteres Handlungspersonal, hier fiel es mir manchmal schwer, die Übersicht zu behalten.

Besonders spannend waren für mich die Gerichtsszenen, in denen Staatsanwaltschaft und Verteidigung darum ringen, ob Turner nach Den Haag ausgeliefert werden darf oder nicht. Sie sind voller juristischer Spitzfindigkeiten, denn eigentlich geht es vor dem Athener Gericht nur darum, ob Turner’s Rechte bei seiner Festnahme beachtet wurden, ob die Anklage des ICC rechtmäßig ist und seine Auslieferung nach Den Haag deshalb auch eine gültige rechtliche Grundlage hat. Aber natürlich wird in dem Verfahren dennoch aufgerollt, was für Kriegsverbrechen es sind, die Turner begangen haben soll. Dabei gelingt es Marc Elsberg gut, herauszuarbeiten, wie schwierig, ja eigentlich unmöglich es ist, hier Recht zu sprechen oder gar für Gerechtigkeit zu sorgen. Wenn Dana ein Video zeigt, bei dem eine ganze Familie ausgelöscht wird durch einen amerikanischen Drohnenangriff, präsentiert die Gegenseite eine seitenlange Liste von zivilen Opfern von terroritischen Anschlägen. Opfer werden gegen andere Opfer aufgerechnet. Ist also nicht der Angeklagte einer, der für Gerechtigkeit sorgt? Es stellt sich im Laufe der Handlung aber auch immer wieder die Frage, wie unabhängig die Justiz eigentlich wirklich von der Politik ist.

Gleichzeitig macht er noch ein zweites Thema auf, nämlich das der Desinformation in den sozialen Medien. Dana wird diskreditiert durch gefälschte Videos und erhält irgendwann Unterstützung durch eine Gruppe junger griechischer Aktivisten, die eine unabhängige Onlinezeitung betreiben. Drohnen filmen aus der Luft, Demonstrationen werden über die sozialen Netzwerke organistert und was letztendlich Tatsache und was Fake ist, weiß im Grunde genommen kaum noch jemand. Hier merkt man, daß sich der Autor in diesem Thema wirklich gut auskennt.

Aber diese Fülle der hervorragend recherchierten Fakten gerät dem Buch ein Stück weit auch zum Nachteil: Die Figuren haben für mich nie an Tiefe gewonnen, sie sind eher Prototypen, die für eine bestimmte Handlung oder Einstellung stehen. Und so spannend das Buch ist – am Ende erliegt Elsberg der Versuchung, ein actionreiches Finale zu kreieren, das vor technischen Details und Klischees nur so strotzt und jede Glaubwürdigkeit vermissen lässt.

Fazit: Marc Elsberg hat ein wirklich starkes Thema aufgegriffen, nämlich wie lassen sich Menschenrechtsverletzungen juristisch aufarbeiten, ja, lassen sie sich überhaupt aufarbeiten? Leider hat er dieses wichtige Thema letztendlich (zumindest in meiner Wahrnehmung)  einer Thrillerhandlung untergeordnet wenn nicht gar dafür instrumentalisiert. Das ist legitim, aber bei mir hinterlässt es, trotz aller Spannung und trotz aller sorgfältiger Recherche, die das Buch auszeichnen, einen faden Nachgeschmack. Ich hätte mir ein paar Drehungen in der Handlung weniger und vor allem ein weniger achtionreiches Ende mit mehr Substanz gewünscht.

Hier können Sie ein Interview mit dem Autor lesen

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