Von Arno Frank habe ich den „Seemann vom Siebener“ sehr gerne gelesen und auch sein biographischer Roman „So, und jetzt kommst du“ hat mir gut gefallen. So war ich gespannt auf seinen neuen Roman und freute mich, dass ich bei einer Buchverlosung von Lovely Books Glück hatte und mit einem kostenlosen Exemplar an einer Leserunde teilnehmen konnte.

„Ginsterburg“ ist eine fiktive Kleinstadt und Arno Frank erzählt in 3 Zeitblöcken von der Veränderung einiger seiner Einwohner:innen.

1935 ist in Ginsterburg ein neuer Alltag eingekehrt. Zwei Jahre sind die Nationalsozialisten an der Macht und die Einwohner:innen gewöhnen sich an einen neuen Alltag: Der Blumenhändler Gürckel ist zum Kreisleiter aufgestiegen, Merle muss in ihrer Buchhandlung immer mehr Bücher aus dem Regal nehmen und ist nicht begeistert, dass sich ihr Sohn Lothar nach einer Freizeit mit der HJ fürs Fliegen begeistert und Ernst Udet zu seinem großen Vorbild wird. Eugen ist Feuilletonist bei der Lokalzeitung und schreibt an einer Geschichte der Stadt. Er steigt zum Chef auf, nachdem sich der Inhaber des Verlages das Leben genommen hat. Der Fabrikant Clemens Jungheinrich sorgt sich um seine Papierfabrik, bis Otto ihm klar macht, dass in Handgranaten auch Komponenten aus Pappe und Papier stecken.

Deren Schicksal und dem weiterer Figuren folgen wir nun ins Jahr 1940, als der Sieg nahe zu sein scheint bis ins Jahr 1945 als am 1. März ein britischer Bombenangriff die Stadt zerstört.

Ich fand diesen Roman wirklich sehr interessant und spannend. Arno Frank fängt die Atmosphäre in der Kleinstadt sehr gut ein und entwirft eine Stadtgesellschaft, die typisch für diese Zeit gewesen sein mag: Die meisten waren Mitläufer:innen, manche haben Karriere gemacht und von der neuen Herrschaft profitiert, andere sind still und leise verschwunden. Keine der Figuren eignet sich dabei als Identifikationsfigur, keine von ihnen erwägt auch nur einen Hauch von Widerstand, die Sichtweise auf sie bleibt sehr distanziert und beobachtend. Dadurch gelingt dem Autor ein nüchterner Blick auf die Zeit, der unbehaglich macht: Die Menschen sind mit ihren mehr oder weniger großen Alltagssorgen und sonstigen Befindlichkeiten beschäftigt, sie verdrängen oder verweigern sich der politischen Realität. Dadurch wird der Roman auch beklemmend, denn im Gegensatz zu den Menschen in Ginsterburg wissen wir Leser:innen ja, was kommen wird. Und so wird das Buch auch für unsere Zeit aktuell: Wie gehen wir mit den Umwälzungen, die gerade stattfinden, eigentlich um? Sind wir aufmerksam und versuchen, uns zu positionieren oder ziehen wir uns wie die Ginsterburger:innen zurück ins Private?

Eingestreut sind immer wieder Texte, die sich typographisch abheben und dadurch wohl zeigen sollen, dass es sich hierbei um historische Dokumente handelt, wenigstens aber um Dokumente, die von historischen Persönlichkeiten verfasst wurden. Da hat mir ein Nachwort gefehlt, das diese Textstellen und die Personen, von denen sie stammen einordnet. Natürlich kann man sich so etwas heute ergoogeln, aber es hätte mich interessiert, wie Arno Frank diese Texte ausgewählt und ggfs. auch geändert hat. Auch ein paar kleine andere Ungenauigkeiten sind mir aufgefallen. Das tat meinem Lesevergnügen insgesamt aber keinen großen Abbruch.

Auf jeden Fall ein sehr lesenswerter und wichtiger Roman – gerade für diese Zeitenwende, die wir im Moment erleben.

Wenn Sie Lust bekommen haben, den Roman zu lesen, können Sie ihn im Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Der Link führt direkt zum Titel im Webshop.

Eine Leseprobe finden Sie hier