Die Krimiwelt des Volker Kutscher
Die Krimis von Volker Kutscher um den Ermittler Gereon Rath aus dem Berlin der 20er und 30er Jahre gehören für mich zum besten, was derzeit an deutschen Kriminalromanen zu lesen ist. Die charakterliche Vielschichtigkeit seiner Figuren und vor allem deren kontinuierliche Weiterentwicklung ist das eine. Hier geht es nicht nur um die Frage, kommen sie zusammen, bleiben sie zusammen, sondern darum, wie sich Menschen und Beziehungen unter schwierigen politischen Entwicklungen verändern können. Und damit wäre ich auch schon beim zweiten Punkt, der mich an dieser Reihe begeistert: Die zeitgeschichtlichen Veränderungen sind nicht einfach nur Hintergrund der Romane, sondern fließen direkt in die Handlung mit ein, bestimmen das Verhalten der Protagonist*innen und sind oft der Grund für weitere Entwicklungen (und natürlich Mordmotive).
Dieser Abend war Pflicht für mich
Bei dieser Begeisterung war es klar, daß ich unbedingt zur Lesung mit Volker Kutscher in die Stadtbibliothek am Mailänder Platz wollte. Besonders reizvoll war für mich auch, daß ich dort nicht nur den Autor einmal live erleben würde, sondern daß gleichzeitig Arne Jysch da war, der die Graphic Novel zum ersten Rath – Krimi „Der nasse Fisch“ gezeichnet hatte. Und Graphic Novels sind ja ein Thema, an das ich mich seit einiger Zeit annähere.
Moderiert wurde der Abend von Dr. Christian Westerhoff von der Bibliothek für Zeitgeschichte, der als erstes Volker Kutscher fragte, ob er von Anfang an eine Reihe geplant hatte. Hatte er und ursprünglich sollte diese Reihe 8 Bände umfassen – vier davon sollten in der Weimarer Republik spielen, vier im Dritten Reich. Ich erschrak ein bißchen – immerhin ist letztes Jahr Band 7 erschienen, dann wäre ja bald Schluss. Aber zum Glück denkt der Autor über ein oder zwei Bände mehr nach, fest steht für ihn im Moment nur, daß mit der Reichsprogromnacht 1938 Schluss sein wird, denn ab da geht es für ihn in Richtung Auschwitz.
Seine Bücher entwicklen sich von Band zu Band weiter immer unter der Fragestellung was Plot und Zeitgeschichte mit ihm machen.
Die Position der Zeitgenossen konsequent einnehmen
Für Volker Kutscher liegt die Tragik des Dritten Reiches unter anderem auch darin, daß eine ganze Kultur zerstört wurde. Für ihn war das „ein kultureller Aderlass, von dem wir uns bis heute nicht erholt haben.“ Beim Schreiben versucht er, immer die Perspektive seiner Protagonist*innen einzunehmen, für die die Zukunft ja noch unbekannt ist. Wir in unserer Zeit, wissen, wie die Geschichte ausging, für die Menschen, die in der Zeit lebten, ging das Leben jedoch ganz normal weiter. In der Kontinuität des Alltags merkt man fast nie, ob nun gerade eine Weiche gestellt wurde, die eine unheilvolle Entwicklung in Gang setzen könnte. Oft denkt man „Es ist noch immer gut gegangen“ und diese Position der Zeitgenossen einzunehmen, ist dem Autor ganz wichtig. Ich glaube auch, genau darin liegt (wenigstens für mich) die Faszination der Reihe.
Die Graphic Novel und ihre Entstehung
Ursprünglich wollte Arne Jysch Der nasse Fisch verfilmen, denn nach dem Studium von Kommunikationsdesign und Animation arbeitet er u.a. als Storyboard Artist. Er entwarf sogar einige Skizzen, die er Volker Kutscher schickte. Aber dann zeichnete er seine erste Graphic Novel Wave and Smile und der Plan änderte sich. Über drei Jahre arbeitete er an Der nasse Fisch, den er komplett digital gezeichnet hat. Dem Zeichnen ging eine umfangreiche Recherche voraus, bevor er dann den Roman auseinander pflückte und Zitate und Szenen heraussuchte, die er verarbeiten wollte. Die Sprechblasen kamen erst ganz zum Schluß und sein Ziel war es, nicht nur die Geschichte zu erzählen, sondern über das Stilmittel Graphic Novel auch die Atmosphäre der Zeit visuell einzufangen und sich vom Film abheben.
Intensive Recherchen
In die 20er Jahre fühlte sich Arne Jysch (wie übrigens auch Volker Kutscher) durch intensive Lektüre, das Betrachten von Bildbänden und mit Museumsbesuchen ein. Aus den Bildbänden bekam er viele Informationen zu wichtigen Details: Wie sah der Alltag in Berlin aus, wie zum Beispiel Werbung oder Litfassäulen, wie liefen die Menschen auf den Strassen, was trugen sie für Kleidung im Alltag. Gemeinsam mit Volker Kutscher überlegte er, wie Gereon Rath und Charlotte Ritter eigentlich aussehen könnten – Schauspieler*innen wie z.B. Michael Fassbender für Gereon Rath gaben Inspiration. Beim Zeichnen war es ihm wichtig, die Figuren nicht zu konkret werden zu lassen, so daß bei den Betrachter*innen noch Raum für eigene Vorstellungen bleiben kann.
Babylon Berlin
Natürlich ging es auch noch um die Verfilmung. Volker Kutscher ließ uns wissen, daß der gezeichnete Gereon Rath ihm näher ist als der Hauptdarsteller der Fernsehserie. Mit der Verfilmung ist er weitgehend einverstanden, auch wenn er sich kurz Sorgen machte, ob die Verfilmung Einfluss auf seine Fantasie für die Arbeit an den weiteren Bänden haben würde. Er stellte jedoch bei sich selbst fest, daß seine Fantasie absolut immun ist – sowohl gegen Filmbilder als auch Comiczeichnungen. Er sieht jede Darreichungsform als eigenes Produkt. Seine größte Sorge bei der Verfilmung war jedoch, ob die Seele seines Romans erhalten bleibt. Während der Comic eher kürzen musste, wollten die Drehbuchautoren eine opulente Serie machen und aus kleinen Szenen wurden zu seiner Überraschung große Handlungsstränge. Beiden Adaptionen ist jedoch gemein, daß eben jene Seele erhalten wurde.
Es war ein langer, aber sehr interessanter Abend und nicht nur ich, sondern das gesamte Publikum im fast ausverkauften Max-Bense-Forum war begeistert. Davon zeugte auch die Schlange am Signiertisch, die sich durch den ganzen Saal zog.
Text und Bilder: Susanne Martin
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Ein Interview mit Arne Jysch über die Graphic Novel können Sie hier lesen
Ein Gespräch mit Volker Kutscher über seine Romane und deren Verfilmung können Sie hier ansehen (Video 31:31 Min)