Die 15jährige Lydia Lee taucht eines Morgens nicht beim gemeinsamen Frühstück auf. Ihr Bett ist leer und ein Anruf an der Schule bestätigt, dass sie auch dort nicht zum Unterricht erschienen ist. Lydia Lee ist verschwunden.

Die Polizei wird eingeschaltet, alle Freundinnen und Freunde angerufen, Nachbarn befragt – keiner kann etwas Hilfreiches zum Verbleib des Mädchens beitragen. Die Eltern sind besorgt und hoffen auf ein baldiges Lebenszeichen. Was die Eltern nicht wissen, wir Leser aber bereits von der ersten Seite an: Lydia lebt nicht mehr.

Am Ende des ersten Kapitels wird Lydia Lee tot im nahegelegenen See gefunden. Sie ist ertrunken. Jetzt stellt sich die Frage, ob es ein Unfall, Selbstmord oder womöglich ein Verbrechen war. Lydias Mutter ist sich sicher, dass es sich um ein Verbrechen handelt, denn Lydia konnte nicht schwimmen und wäre niemals allein mit dem Boot auf den See hinaus gerudert. Und Selbstmord  kommt für die Mutter auf keinen Fall in Frage, denn Lydia war beliebt, gut in der Schule und hatte ein Ziel: sie wollte Medizin studieren, so wie damals ihre Mutter.

Das ist zumindest die Sicht der Mutter. Aber hat sie ihre Tochter wirklich so gut gekannt, wie sie glaubt?

Ihr Bruder sieht die Situation ganz anders, spricht aber mit keinem in der Familie darüber. Er ahnt, dass seine Schwester, so wie er selbst auch, kaum Anschluss unter den Gleichaltrigen an der Schule gefunden hat. Denn die beiden stammen aus einem multikulturellen Elternhaus. Ihr Vater ist Chinese, die Mutter Amerikanerin und als Halbasiaten war es für Lydia und ihren Bruder in den 70iger Jahren in einem kleinen Ort in Ohio schwierig, akzeptiert zu werden.

Die Autorin Celeste Ng erzählt in ihrem ersten Roman spannend und sensibel von einer Familie, in der vieles unausgesprochen bleibt.  Im Mittelpunkt der Geschichte steht daher nicht die Frage, was mit Lydia passiert ist, sondern warum es passiert ist. Was genau lief innerhalb der Familie schief? Über welche Ängste, Sehnsüchte, Wünsche und Erwartungen wurde in der Familie nicht gesprochen? Und wie können sich unerfüllte Träume der Eltern auf ihre Kinder auswirken?

Mir hat der Roman sehr gefallen. Auch wenn von Anfang an klar ist, dass die verschwundene Tochter nicht mehr lebt, ist die Geschichte doch so spannend wie ein Krimi. Die Suche nach der möglichen Ursache des Geschehens ist sehr feinfühlig und fesselnd geschrieben.