Dieses Buch las ich im Rahmen meiner Juryarbeit für die Stuttgarter Kriminächte. Es interessierte mich auch deshalb, weil ich von Max Annas schon einige Bücher gelesen habe, die mir gut gefielen. Außerdem fand ich das Projekt sehr spannend, daß zwei Autoren gemeinsam einen „vierhändigen“ Roman schreiben und dabei jeweils nicht wissen, wie der andere die Handlung im nächsten Kapitel fortsetzen wird. Entstanden ist diese Idee auf dem Quais du Polar, einem internationalen Krimifestival. In einer editorischen Noitz werden Idee und Vorgehensweise beschrieben. Ich bedanke mich beim Nautilus Verlag, der mir ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte.
In Lyon wird ein deutsches Ehepaar ermordet, ehemalige Mitglieder einer linksextremen Gruppe. Christine, hartgesottene Kommissarin in einer Antiterroreinheit und nach einer blutigen Aktion gerade erst rehabilitiert, findet am Tatort ein altes Foto: Es zeigt sie selbst als Kind, mit ihrer Mutter, die vor kurzem Selbstmord begangen hat – und einen »Wolfgang«. Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf eine Mail desselben Wolfgang im Postfach ihrer Mutter, kurz vor deren Selbstmord.
Zur gleichen Zeit in der Nähe von Leipzig. Das Haus von Wolfgang und Elke am Rand einer Kiesgrube steht kurz vor dem Abriss. Es ist Zeit, einige im Garten versteckte Relikte aus der Vergangenheit auszugraben, zumal Wolfgang wegen seiner antifaschistischen Twitter-Posts massiv bedroht wird. Christine ahnt nicht, dass in dieser Nacht noch andere auf dem Weg dorthin sind – und dass sie schon bald nichts mehr unter Kontrolle haben wird… (© Nautilus Verlag)
Dieser schmale Krimi ist der Gattung des politischen Noir-Krimis zuzuordnen, entsprechend verbindet sich in ihm eine rasante Handlung mit einem politischen Thema, dem des Linksterrorismus, den es sowohl in Deutschland als auch in Frankreich in den 70er und 80er Jahren gab. Jerome Leroy zeichnet dabei verantwortlich für die französische Kommissarin Christine, die mir auf keiner Seite auch nur einen Hauch von Sympathie entlocken konnte. Sie ist bereit, über Leichen zu gehen und auch, sich über alle Vorgaben ihrer Vorgesetzten hinweg zu setzen, als sie am Fundort zweier Leichen ein Bild findet, das mit der Vergangenheit ihrer Mutter zu tun hat.
Max Annas ist für die deutschen Handlungspersonen Wolfgang und seine Lebensgefährtin Elke verantwortlich. Der ehemalige Terrorist ist alt geworden, leidet unter Knieproblemen und tobt sich inzwischen mit politischen Parolen in den sozialen Netzwerken aus. Damit zieht er sich den Hass rechter Aktivisten zu. Auch das ist etwas, was Deutschland und Frankreich gemein haben – die immer stärker werdenden Tendenzen rechter Gewalt.
Während zunächst jeweils abwechselnd aus den jeweiligen Perspektiven erzählt wird, verbinden sich die beiden Handlungsstränge im letzten Drittel des Romans und kulminieren in einem äußerst spannenden und ebenso brutalen Showdown im Haus von Wolfgang und Elke – hier fühlte ich mich fast wie in einem Western.
Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen, es ist wirklich extrem spannend. Ich fand es erstaunlich, wie die beiden Autoren die Handlung ganz ohne Brüche zusammengefügt haben – hätte ich nicht um den besonderen Hintergrund der Entstehung gewußt, hätte ich möglicherweise gar nicht bemerkt, daß hier zwei Autoren auf diese ganz besondere Weise die Handlung entwickeln und vorantreiben. Gelungen fand ich auch, wie das Thema Terrorismus, egal ob vergangener linker oder aktueller rechter, einfach als gesellschaftliche Tatsache im Hintergrund mitläuft, ohne dabei diskutiert oder gewertet zu werden. Ich habe jedoch auch wieder einmal festgestellt, daß die Gattung Noir mir nicht unbedingt liegt – so spannend die Lektüre war, so sehr hat mich die rohe Gewalt darin abgestossen. Das ist jedoch mein persönliches Empfinden und hat nichts mit den Qualitäten des Roamns zu tun.
Fazit: Ein sehr gelungenes literarisches Krimiexperiment! Sollte es fortgesetzt werden, könnte es passieren, daß ich trotz meiner Abneigung gegenüber Noir-Krimis wieder schwach werde.
In dieser Leseprobe können Sie sich einen Eindruck vom Stil des Buches machen.
In diesem Interview des Börsenblatts erzählen die beiden Autoren von der gemeinsamen Zusammenarbeit.
Wenn Sie Lust bekommen haben, das Buch zu lesen, können Sie es in den beiden Vaihinger Buchhandlungen buch+musik oder Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Die Links führen direkt in die jweiligen Webshops.