Dieser Roman fiel mir in einigen Rezensionen und Blogs auf, deshalb habe ich ihn mir in der Stadtbibliothek vorbestellt und freute mich, ihn nach einigen Wochen selbst lesen zu können.
Fred ist eine erfahrene und ehrgeizige deutsche Konsulin. Eine Frau, die eigentlich nichts aus der Ruhe bringt, überall und nirgends zu Hause. Dann jedoch, in Montevideo, scheitert sie erstmals in ihrer Karriere. Sie wird versetzt ins politisch aufgeheizte Istanbul, ihrer bisher größten Herausforderung. Zwischen Justizpalast und Sommerresidenz, Geheimdienst und deutsch-türkischer Zusammenarbeit, zwischen Affäre und Einsamkeit stößt sie an die Grenzen von Freundschaft, Rechtsstaatlichkeit und europäischer Idee. (© Ullstein Buchverlage)
Dieser Roman hat mir sehr gut gefallen. Er steckt voller Hintergrundwissen über diplomatische Gepflogenheiten, die Lucy Fricke akribisch recherchiert hat. Fred, die eigentlich Friederike heißt, langweilt sich auf ihrem Posten in Montevdieo, ein scheinbares Paradies, das soweit ab vom Schuss liegt, daß ihr Vorgänger ihr lediglich ein paar Restaurantempfehlungen hinterlassen hat. Außer ein paar Empfängen, bei denen die wichtigste Entscheidung die ist, welche Farben die Zelte und Servietten beim Empfang zum Tag der Deutschen Einheit haben und welche Würstchen auf den Grill gelegt werden, hat sie wenig zu tun. Mit Ruhe und Langeweile ist es vorbei, als die Tochter einer einflussreichen Journalistin entführt wird, eine Sache, die nicht gut ausgeht.
Als sie dann nach einem mehrmonatigen Intermezzo in Berlin nach Istanbul versetzt wird, herrscht auch dort oberflächlich besehen heile diplomatische Welt: Man spricht in Reden von offenem Dialog und konstruktiven Gesprächen, die in Wirklichkeit nicht stattfinden, lobt die guten Handelsbeziehungen. Kritik wird ebenfalls nur diplomatisch geäußert: Ein Kulturfestival eröffnet der Botschafter mit der Nennung der Namen all der Künstler:innen, die nicht dabei sein können, weil sie in türkischen Gefängnissen einsitzen. „Schon bei dem Wort Dialog stellten sich mir inzischen die Nackenhaare auf“ sagt Fred zunehmend desillusioniert. Als dann dem Sohn einer dieser Künstlerinnen, die im Gefängnis sitzen, nach seiner Einreise, der Pass abgenommen wird und er nicht mehr ausreisen, geschweige denn seine Mutter besuchen darf, merkt sie, daß sie nun entscheiden muss, wie diplomatisch sie sich weiter verhalten will und kann.
Das alles erzählt Lucy Fricke mit einem wunderbar lakonischen Humor, pointierten Dialogen und außerdem sehr spannend. Im zweiten Teil des Buches entwickelt der Roman fast schon Thrillerqualitäten, als sie beschreibt, wie der türkische Geheimdienst auch einen befreundeten Journalisten bespitzelt. Man merkt, daß die Autorin Istanbul sehr gut kennt – kein Wunder, hat sie doch dort im Rahmen eines Stipendiums einige Monate gelebt und zwar auf dem Gelände der Sommerresidenz der Deutschen Botschaft. Sie erlebte selbst, wie sie bei Treffen überwacht wurde und wie vorsichtig man bei der Kommunikation über digitale Medien sein muss. Das und die Tatsache, dass sie auch reale Fälle verarbeitet (natürlich ohne Namen zu nennen und verfremdet) verleiht dem Roman eine hohe Authenzität. Ich konnte beim Lesen das Dilemma, in das Fred gerät sehr gut nachvollziehen: Bleibt sie die Diplomatin oder agiert sie menschlich und riskiert ihre berufliche Zukunft?
Fazit: Ein hochspannender Roman über die Diplomatie, die gerade jetzt so wichtig ist und die ihr Personal vor enorme Herausforderungen stellt. Absolute Leseempfehlung!
Wenn Sie sich einen Eindruck vom Buch verschaffen möchten, finden Sie hier eine Leseprobe
Ein Interview mit der Autorin über ihren Roman können Sie hier anhören (Audio, 10:58 Min.)
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