Lesen auf der Urlaubsleseterrasse in Tirol (© Foto: Susanne Martin)

Auf unserer Urlaubsleseterrasse liest es sich natürlich besonders gut (© Foto: Susanne Martin)

Ein Kriminalroman, der kurz nach der Wende spielt – das interessierte mich nicht nur für meine Juryarbeit bei den Stuttgarter Kriminächten! Nachdem die Wende nun über 30 Jahre zurückliegt, kann mit entsprechender Distanz ganz anders, auch kritisch, über diese Zeit geschrieben werden. So auch in diesem Krimi.

Aber zunächst zum Inhalt, den der Verlag so beschreibt:

Mecklenburg, Anfang der Neunziger: Hauptkommissar Groth wird nach Jahren im Westen zurück in seine Heimatstadt geschickt. Als Aufbauhelfer Ost soll er Kollegen in westdeutscher Polizeiarbeit schulen. Dabei hat er selbst so seine Schwierigkeiten mit den Vorschriften, seit seine Tochter gestorben ist. Auf seinen Instinkt kann er sich allerdings noch immer verlassen. Als die Leiche des Bootsverleihers Siegmar Eck aus dem örtlichen See gefischt wird, weiß Groth, dass das kein Unfall war. Warum sollte ein guter Schwimmer wie Eck im See ertrinken? Und das kurz nachdem er Groth aufgesucht und behauptet hat, er würde verfolgt? Die Kollegen wollen den Fall zu den Akten legen, doch Groth ermittelt weiter. Und stößt dabei auf eine Spur, die ihn zu einer Kellnerin im nahegelegenen Ausflugslokal und zurück zu einem ungelösten Mordfall führt. (© Tropen Verlag)

Das ist ein wirklich spannender und vielschichtiger Krimi, der meine Erwartungshaltung nicht enttäuscht hat! Nach einem kurzen Prolog, angesiedelt im Jahr 1980, in dem die Leiche einer jungen Frau gefunden wird, springt die Handlung in den Herbst 1991, in dem Hauptkommissar Groth ermittelt. Der Fall des toten Bootsverleihers, mit dem er kurz vorher noch gesprochen hat und der ihm Beweise dafür bringen wollte, dass er verfolgt wird, ist für ihn kein Unfall, auch wenn sein Vorgesetzter das gerne so sehen  und den Fall zu den Akten legen will. Überraschend springt ihm sein Kollege Gerstacker zur Seite, der schon lange im Revier arbeitet und einen Zuzsammenhang herstellt zu einem ungelösten Mordfall in den 80er Jahren.

Und es gibt noch eine weitere Perspektive, aus der erzählt wird: Regine arbeitet als Kellnerin in einem Ausflusglokal am See und sie kannte Siegmar Eck, auch wenn sie das um jeden Preis vor der Polizei verbergen will. Was führte sie, die zuvor in einem Luxusrestaurant in Berlin gearbeitet hat, eigentlich in die Mecklenburgische Provinz?

Die Spannung bezieht dieser ruhig und sachlich erzählte Krimi zum einen aus den beiden Perspektiven, die uns Leser:innen den beiden Kommissaren stets ein kleines Stück voraus sein lässt, aber nie so weit, dass wir die Lösung schon kenen könnten.

Noch viel spannender jedoch fand ich, wie Susanne Tägder die Stimmung kurz nach der Wende eingefangen hat. Hauptkommissar Groth ist als sogenanter „Aufbauhelfer“ gekommen. Die Aufbauhelfer waren aber nicht unbedingt willkommen in der ehemaligen DDR, denn die Menschen mussten mit einem völligen Bruch ihres bisherigen Lebens zurechtkommen. Das, was bisher als gut und richtig galt, zählte nicht mehr, ihnen wurden die Maßstäbe der BRD übergestülpt, die Aufbauhelfer wurden oft als arrogant wahrgenommen und man begegnete ihnen mit entsprechendem Misstrauen. Das galt natürlich in besonderem Maße auch für die Polizei, die sich in einem ganz neuen Rechts- und Vorschriftensystem zurecht finden musste.  Die Ost-Kolleg:innen des Reviers, auch Groths Kollege Gerstacker, werden auf eine eventuele Stasi-Vergangenheit überprüft und wer als IM identifiziert wurde, verliert seinen Job. Groth stammt zwar aus dem Ort Wechtershagen, in den er zurückversetzt wurde, war aber kurz vor dem Mauerbau in den Westen geflohen, was seinem Ansehen in der früheren Heimat nicht besonders förderlich ist. Diese explosive Stimmung aus Misstrauen, Verweigerung und Aggression fängt die Autorin sehr gut ein.

In einem Interview, das im Rezensionsexemplar abgedruckt ist, erklärt die aus Heidelberg stammende Autorin, die heute in Kaliforniern und der Schweiz lebt, wie sie diese Atmosphäre so glaubwürdig darstellen konnte: Ihre Eltern sind kurz vor dem Mauerbau aus Mecklenburg geflohen und die Biografie ihrer Eltern „hat sich durch den Mauerbau radikal geändert. Sie konnten der SED-Diktatur entkommen, aber das bedeutete Neuanfang an einem Ort, den sie nicht kannten, in Berufen, die sie sich sonst nicht ausgesucht hätten.“ Ihrer Überzeugung nach ist die Entwurzelung dieser Generation geflüchteter nie wirklich wahrgenommen worden – kamen die doch in ein freies Land, in das die Integratuion so schwer nicht sein konnte. Aber, so die Autorin „Jeder Neuanfang aus dem Nichts braucht enorm viel Kraft und Anpassungswillen.“ Weil Susanne Tägder nicht selbst in der DDR aufgewachsen ist, war es für sie auch von Anfang an klar, dass sie aus einer Perspektive von außen schreiben will. Und so steckt in ihrem Hauptkommissar Groth auch ein Stück der Geschichte ihrer Etern. Zusätzliche Authentizität verleiht dem Roman sicher auch ihre Erfahrung als Richterin an einem Sozialgericht in Karlsruhe. Dort konnte sie in vielfältiger Weise erleben, wie Menschen in eine Abwärtsspirale geraten können, denen in verschiedener Weise Steine in den Weg gelegt werden.  Das gilt auch für die Menschen in der DDR, die sehr oft das Opfer politischer Gängelung waren.

Mein Fazit: Ein wirklich spannender, sehr vielschichtiger Kriminalroman, der ohne viel Action auskommt, sondern seine Spannung aus der gekonnten Erzählweise und der eingefangenen Stimmung bezieht. Eine Autorin, von der ich noch mehr lesen möchte! Große Leseempfehlung!

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