In diesem Buch erzählt Amelie Fried zum einen die Geschichte ihrer weitverzweigten Familie. Zum anderen aber auch darüber, wie sie vorgegangen ist, um diese Geschichte zu recherchieren.
In ihrer Familie war das Thema Nazizeit ein Tabuthema. „Wann immer das Gespräch auf diese Zeit kam, verließ mein Vater wortlos den Raum. Ebenso, wenn im Fernsehen etwas darüber lief. Ich kannte es nicht anders und hielt die Reaktion für normal, glaubte deshalb auch nicht, dass es einen besonderen Grund für das Verhalten meines Vaters gäbe“. Ein Versuch der 15 jährigen Amelie, mit ihrem Vater über die Nazizeit zu reden wird schon bei der dritten Frage rigoros abgewürgt: „Jetzt hörsch auf mit dem dumma Gschwätz, hasch ghört?“.
So beginnt sie erst nach dem Tod ihres Vaters, über das Schicksal ihrer Familie zu recherchieren. Ihre Großeltern Franz und Martha Fried, Inhaber des Schuhgeschäft Pallas lebten bis in die 30er Jahre als anerkannte Mitglieder der Ulmer Gesellschaft. Er ist Jude, sie nicht. Als ihr Geschäft geschlossen werden soll, wehren sie sich dagegen und überschreiben das Schuhhaus zunächst an Martha Fried, später an den Sohn Kurt. Kurt Fried allerdings tut sich schwer mit dem Schuhgeschäft – er will lieber als Journalist und Dichter arbeiten. Als der Druck auf die Familie trotzdem immer größer wird, rät Kurt den Eltern, sich scheiden zu lassen – er hofft, dass damit etwas Ruhe einkehren kann. Tatsächlich lassen sich Franz und Martha scheiden – das Verhältnis zwischen Sohn und Vater ist daraufhin jedoch nicht mehr zu kitten. Während Franz Fried nach München geht, und versucht sich dort durchzuschlagen bleibt der Rest der Familie in Ulm. Nur durch einen unglaublichen Zufall entgeht Franz Fried der Deportation: In der „Judenkartei“ wird er noch als verheiratet geführt und hat deshalb noch einen letzten Rest Schutz durch seine deutsche Frau. Er überlebt den Krieg in einem Konzentrationslager.
Kurt Fried wurde nach der Schließung des Schuhhauses Pallas 1943 zum Rüstungseinsatz eingezogen, später kam er als Zwangsarbeiter in ein Außenlager des KZ Buchenwald. Während sein Vater Franz Fried nach dem Krieg das Schuhhaus Pallas wieder eröffnete, wurde Kurt Kulturbeauftragter in Ulm. Die Familie hatte bis in die späten 60er Jahre immer wieder unter antisemitischen Anfeindungen zu leiden.
Neben dieser Geschichte ihrer Familie beschreibt Amelie Fried auch die Geschichte ihrer Recherche. Besonders eindrucksvoll ist dabei zu lesen, wie sie ihren 95 jährigen Großonkel in Amerika ausfindig machen konnte, den sie dann mit ihrer Familie auch besuchte.
Das Buch liest sich leicht, eine Schwäche allerdings ist, dass die Autorin nur mit sehr wenigen Zeitzeugen sprechen konnte: Ihr Vater ist seit über 20 Jahren nicht mehr am Leben und auch mit ihrer Tante begann sie erst spät über die Familiengeschichte zu sprechen – sie starb im Jahre 2005, kurz nachdem ihre Nichte mit den Arbeiten an dem Buch begonnen hatte. So ist Amelie Fried in vielem auf Quellen angewiesen, was zu einer gewissen Distanz führt. Dazu ist die Familie weit verzweigt und auch der Stammbaum hilft hier nicht immer, den Überblick zu behalten. Die größte Spannung im Buch liegt für mich in dem Prozess der Autorin, zu erkennen, wie sehr das Schweigen und das Verschweigen sie belastet und ihr Leben beeinflusst hat.