© Cover: Avant Verlag, Bearb: Susanne Martin

Ich bin erst nach meiner aktiven Laufbahn auf das Genre Graphic Novel gestoßen, denn jetzt habe ich viel mehr Zeit, Bücher zu lesen, auf die ich einfach Lust habe, ganz ohne im Hinterkopf immer überlegen zu müssen – ist das ein Buch, das ich gut verkaufen kann oder nicht? An diesem Genre schätze ich besonders, dass ich mich oft Sachthemen im Zusammenspiel aus Bild und Text auf eine ganz unkomplizierte Weise nähern kann.

Die beiden Bände „Fußnoten“ und „Zurück in die Heimat“ sind bereits 2017 und 2019 erschienen, also nicht ganz neu. Ich habe sie erst letztes Jahr entdeckt, denn da war die Autorin Nacha Vollenweider auf Einladung der Stuttgarter BücherFrauen zu Gast auf den Stuttgarter Buchwochen und stellte ihre Bücher vor.

Der avant-Verlag nennt die Bücher von Nacha Vollenweider „Comic-Essay“ und das trifft es in meinen Augen ziemlich gut.

Fußnoten

In Fußnoten setzt sich die Argentinierin mit ihrer eigenen Biographie auseinander: 2011 kam sie als Stipendiatin des DAAD nach Hamburg, danach machte sie in Hamburg ihren Master im Rahmen eines Designstudiums mit Schwerpunkt Illustration und Comics.

„Fußnoten“ ist ihre Abschlussarbeit und sie erzählt darin von ihren Erfahrungen, die sie in Deutschland macht, aber auch von ihren Erinnerungen an Argentinien. Die familiären Wurzeln von Nacha Vollenweider liegen in Europa: Im 19. Jahrhundert sind ihre Vorfahren, die Landwirte waren, aus der Schweiz nach Argentinien ausgewandert, einer ihrer Urgroßväter stammte auch aus Deutschland.

Die Rahmenhandlung bildet eine Fahrt in der Hamburger S-Bahn. Der Anblick der Schienen, das Muster der Sitze oder ein gegenübersitzendes Paar lösen Assoziationen aus. Ein Tango, den sie in ihrem Player hört weckt zum Beispiel die Erinnerungen an ihren Onkel Ignacio, der im Argentinien der Militärdiktatur verschwand. Nacha wurde 1983 geboren, dem Jahr, in dem in Argentinien die Demokratie wieder eingeführt wurde. Aber es dauerte noch bis 2005, bis die letzten Gesetze zum Schutz der früheren Militärregierung aufgehoben wurde.

Irgendwann steigt Chini, ihre deutsche Frau in die S-Bahn und erzählt von einem unangenehmen Zusammentreffen mit einem Hund. Sie fragt „warum sind wir eigentlich hier, in Argentinien war es so schön“. Und schon werden mitgenommen auf einen Ausflug, bei dem wir viel erfahren über den argentinischen Alltag, in dem schon auch mal der Strom ausfallen oder der das Kaufen des Bustickets zum Hindernislauf werden kann. Der Anblick eines Gartenzwerges in einem der Vorgärten an denen der Zug vorbeifährt, führt zur Erinnerung an eine von Nachas Großmüttern, die aus Spanien stammte und in Ära von Präsident Peron mithilfe eines Regierungs-Kredits ein Haus bauen konnte. Zum günstigen Hauskredit gab es von der Regierung noch 2 Gartenzwerge als Geschenk obendrauf.

Ein zentrales Thema in „Fußnoten“ ist für Nacha Vollenweider die Migration und damit verbunden ihr Gefühl in zwei Welten zu leben: In Hamburg, wo sie nur bleiben kann, solange sie verheiratet ist und ihre Heimatland Argentinien mit seiner wechselvollen Geschichte, die sich auch in ihrer Familiengeschichte wiederspiegelt.

Zurück in die Heimat

Im Folgeband „Zurück in die Heimat“ erzählt Nacha Vollenweider vom Ende ihrer Ehe und dem damit verbundenen Zwang, zurück in ihr Heimatland zu gehen, denn wenn sie nicht mehr verheiratet ist, hat sie kein Bleiberecht mehr in Deutschland. Zurück in Argentinien versucht sie, die Trennung zu verarbeiten und taucht ein in die Vergangenheit ihrer Familie. Aber sie blickt nun, mit den Erfahrungen, die sie in Deutschland gemacht hat, auch anders auf das heutige Leben in Argentinien, auf die horrende Inflation, die Armut und die kulturellen Unterschiede – sie ist, wie sie resümiert, nicht mehr dieselbe Person wie vor ihrem Aufenthalt in Deutschland. Das wird besonders deutlich, als sie von einer Reise erzählt, die sie gemeinsam mit einem jungen Mann aus der Schweiz unternimmt.

Fazit

Mir haben diese Graphic Novels wegen ihrer assoziativen Erzählweise sehr gut gefallen. Die kräftigen schwarzweißen Tuschezeichnungen bilden mit dem kurzen, knappen Text eine wunderbare Einheit, sie kommen teilweise auch ganz ohne Worte aus und geben so manchen, oft schmerzlichen Erinnerungen eine ganz besondere emotionale Tiefe.

Wie eingangs erwähnt, war Nacha Vollenweider in Stuttgart auf den Buchwochen zu Gast und ich erlebte sie an diesem Abend als kluge, reflektierte und nachdenkliche Frau, die mit ihrer Sicht auf unser Leben in Europa unbequeme Fragen stellt, in „Zurück in die Heimat“ noch mehr als in „Fußnoten“. Und so waren beide Bände für mich eine sehr bereichernde, nachdrückliche Lektüre, die zum Nachdenken anregte.

Auf der Seite des Avant Verlages können Sie einen Blick in die beiden Bücher werfen. Klicken Sie dazu einfach auf das jeweilige Cover.

Wenn Sie Lust bekommen haben, die Bücher zu lesen und anzuschauen, können Sie sie im Vaihinger Buchladen bestellen. Der Link führt direkt zu den Titeln im Webshop