Von Max Annas hatte ich schon öfter gehört, aber noch nichts gelesen. Sein neuer Krimi interessierte mich jedoch sehr, denn er spielt in der DDR der frühen 80er Jahre und es geht um den Tod eines Mosambikaners. Da ich vor kurzem eine Graphic Novel über Gastarbeiter aus Mosambik in der DDR gelesen hatte, war ich gespannt auf diesem Krimi und danke dem Rowohlt Verlag, der mir ein kostenloses Leseexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Otto Castorp ist Oberleutnant in der Morduntersuchungskommission aus Gera. Eines Tages werden er und seine Kollegen an einen Tatort nahe Jena gerufen, dessen Anblick ihm und dem gesamten Team die Sprache verschlägt: Neben den Bahngleisen liegt die grausam entstellte Leiche eines Mosambikanischen Gastarbeiters. Zu Beginn ihrer Ermittlungen tappen Otto und seine Kollegen völlig im Dunkeln: Wer ist der Mann, wohin war er unterwegs, warum wurde er auf derart brutale Weise umgebracht? Als sie feststellen, daß möglicherweise rassistische Motive hinter dem Mord stehen könnten, kommt die Weisung von höherer Stelle, die Ermittlungen einzustellen. Aber Otto ermittelt auf eigene Faust weiter und das ist gefährlich.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich in diesen Krimi reingekommen bin, aber nachdem ich mich in den Tonfall und die Denkweise der Morduntersuchungskommission hineingefunden hatte, entwickelte der Roman für mich eine Spannung, die sich langsam, aber stetig steigerte. Max Annas nimmt seine Leser:innen mit in die Welt der DDR und eine Ermittlergruppe, die sich ganz dem Sozialismus verpflichtet fühlt. Unter diesen Vorzeichen stehen auch die Ermittlungen: Mosambik ist ein sozialistischer Bruderstaat, die Menschen, die von dort in die DDR kommen, um zu arbeiten, sind also Freunde. Und es kann nicht sein, daß es Konflikte gibt zwischen den einheimischen Bürgern und den Gastarbeitern, denn Rassismus gibt es natürlich nicht in der DDR. Es gibt auch keine Nazis, weil es die nicht geben darf. Und doch stößt Otto bei seinen Ermittlungen auf eine veritable, lebendige Neonaziszene mit besten Verbindungen in den Westen.
Max Annas schreibt diesen Krimi sehr sachlich, fast gibt er ihm ein wenig den Tonfall eines Berichtes. Die Ermittler leisten akribische Polizeiarbeit, nehmen es aber widerspruchslos hin, daß ihnen der Fall abgenommen wird. Nur Otto eben nicht und aus seiner Perspektive wird die Geschichte erzählt. Otto ist ein sehr guter Polizist und Ermittler und dieser Fall lässt ihm keine Ruhe. Er hat Familie und eine Geliebte. Manchmal trinkt er einen über den Durst und würde gerne mit seiner Frau oder seiner Geliebten über diesen Fall sprechen, aber das ist ihm nicht erlaubt. Mit seinen Kollegen kommt er gut zurecht, mit den einen mehr, den anderen weniger. Es handelt sich um reine Arbeitsbeziehungen. Ottos Bruder ist bei der Stasi und warnt ihn, seine heimlichen Ermittlungen fortzusetzen. Er gesteht Otto freimütig ein, daß es sehr wohl eine Naziszene gibt in der DDR, die beobachtet wird. Dieses Gespräch mit seinem Bruder desillusioniert Otto völlig und Max Annas sorgt am Ende für einen völlig unerwarteten Schluss, der mir kurz die Luft nahm und nach dem ich mich frage, ob Otto Castorp wohl im nächsten Fall für die Mordermittlungskommission wieder ermitteln wird.
Fazit: Ein spannender, wirklich lesenswerterKrimi, mit einem Thema, das nichts von seiner Aktualität verloren hat und der mehr ist, als ein historischer DDR – Krimi. Max Annas legt einen Finger in eine gesamtdeutsche Wunde, denn auch im Westen hat es bis vor wenigen Jahren noch geheißen „Nazis? Bei uns nicht!“.
In diesem Interview spricht Max Annas über seine Aufenthalte in der ehemaligen DDR und darüber, daß dieser Krimi nicht nur ein DDR-Krimi ist.
Nachtrag Oktober 2020: Inzwischen wurde der Unfall – Tod eines Mosambikaners 1986 von einem Historiker als Mord bezeichnet und eine MDR – Dokumentation berichtete über den Fall. Die Berliner Zeitung berichtet ausführlich über den Streit, der sich daran entzündet hat.
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