Als Mitglied in der Jury des Stuttgarter Krimipreises bekomme ich ab und zu auch Vorschläge von Autor*innen direkt, die sich für ihr Buch einsetzen. So war es auch bei diesem Kriminalroman. Ich danke Philipp Reinartz und dem Goldmann Verlag für das Rezensionsexemplar.
Jerusalem „Jay“ Schmitt ist Leiter der neunten Mordkommission in Berlin. Mit seinem Team ist er derjenige, der besondere Fälle bearbeiten soll. Besonders scheint der Fall, zu dem er gerufen wird, auf den ersten Blick nicht zu sein: Eine über 90jährige Seniorin liegt tot in ihrem Bett im Pflegeheim. Es handelt sich jedoch um einen raffinierten Mord und Schmitt findet geheimnisvolle Botschaften, die jedoch zu keinen konkreten Anhaltspunkten führen. Gleichzeitig ist er noch mit dem Abschlussbereicht zu seinem vorherigen Fall beschäftigt. Eigentlich ist dieser Fall abgeschlossen, aber Jay lassen einige Details keine Ruhe und er ermittelt, gegen der Willen seiner Vorgesetzten, weiter, denn dieser Fall hat auch etwas mit der Vergangenheit seines Vaters zu tun.
Auf einer zweiten Zeitebene erleben wir mit, wie der Senegalese Mouhamoudou Diallo mit seiner Familie versucht, in Deutschland Fuss zu fassen. Lange sucht er vergeblich nach einem Job und landet schließlich bei einem Drogenhändler, der ihn als Dealer in den Berliner Parks beschäftigt. Irgendwann kommt es wie es kommen muss: Mouhamoudou wird festgenommen und landet in einem Polizeirevier, dessen Beamte eine sehr spezielle Art des Umgangs mit Migranten haben.
Jay ist ein Einzelgänger, der für seinen Job lebt, er hat eine Spezialausbildung in Cambridge absolviert, eine frühere Beziehung ist zwar in die Brüche gegangen, aber Sonya, die beim LKA arbeitet, unterstützt ihn in diesem Fall, wenn auch zögerlich. In Gedanken ist Jay mehr bei dem bereits abgschlossenen Fall, in dem er als Polizist etwas machte, was ihn den Job kosten könnte: Er deckte seinen Vater, der ihm einen entscheidenden Hinweis gab, der jedoch vor 20 Jahren einen Kollegen mit Alkohol am Stuer erwischte und dies nicht anzeigte. Die Frage nach dem Warum beschäftigt Jay, aber sein Vater schweigt. Als er sich die Akten noch einmal vornimmt, stößt er auf viele Ungereimtheiten und kommt einem Polizeiskandal auf die Spur, der vertuscht wurde.
Parallell erleben wir mit, wie Mouhamoudou in den 1990er Jahren mit seiner Frau und seiner Tochter versucht, in Deutschland ein besseres Leben zu führen. Er ist voller Hoffnung, einen Job auf dem Bau zu finden, schließlcih wird in Berlin jede Menge gebaut. Aber er gerät in die Fallstricke der deutschen Bürokratie – ohne Asyl keine Arbeit, keine Wohnung, kein Auto. Zwangsläufig landet er in der Illegalität und versucht verzweifelt, dies vor seiner Familie geheimzuhalten. Aber seine Frau schöpft Verdacht und es kommt zu einer Tragödie, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart hat.
Diesen Krimi habe ich relativ rasch durchgelesen, auch wenn ich den ersten Fall nicht kannte. Dieser erste Fall spielt eine relativ große Rolle, aber ich hatte nicht das Gefühl, ich hätte ihn unbedingt kennen müssen. Fremdland ist spannend und gut konstruiert, die beiden Handlungsebenen sind in sich schlüssig. Allerdings hat mich die Konstruktion nicht wirklich überzeugt: Zum einen waren mir die Kapitel zu kurz, zum anderen war die Geschichte der senegalesischen Familie zeitlich nicht verortet. Erst nach ca. einem Drittel des Buches wird klar, daß dieser Teil des Romans 20 Jahre zuvor spielt. Als ich das erkannt hatte, machten die beiden Handlungsebenen auch einen Sinn, vorher fragte ich mich immer wieder, wo das eigentlich hinführen soll und das ist nicht die Art Spannung, die ich bei einem Kriminalroman schätze. Ebensowenig mag ich es bei Romanen, egal ob Krimi oder andere Genres, wenn die ständigen Perspektivwechsel als einziges Spannungselement genutzt werden. Dabei hätte es hier wirklich Potenzial gegeben: Jay Schmitt ist eine interessante Figur, der Rassismus der Polizei im Umgang mit Asylbewerbern ist leider ein Dauerthema, die Zustände im Seniorenheim sind realistisch dargestellt – ich fand es schade, daß all das nur angetippt und nicht besser ausgearbeitet war. Auch die Atmosphäre ist gut getroffen und daß der Autor sorgfältig recherchiert hat merkt man dem Buch an.
Fazit: Als Krimi durchaus spannend, aber in meinen Augen wurde hier ein interessantes Thema etwas zu oberflächlich behandelt.
Ein Interview mit Philipp Reinartz über die Recherchen zu diesem Roamn können Sie hier nachlesen
Auf dem Literaturportal von Dieter Wunderlich finden Sie Informatinen zu den Polizeiskandalen von Hamburg und Frankfurt
Einen Trailer zum Film können Sie hier anschauen (Video, 1:06 Min)
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