Normalerweise lese ich nicht so gerne französische Autor*innen – eigentlich weiß ich auch nicht so genau, warum, irgendwie liegen sie mir nicht so. Aber dieses Buch, das 2018 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, hat mich gleich interessiert, als ich darüber die Meinung einer Kollegin gelesen habe.Ich habe es deshalb von meinem Besuch in der Lübecker Buchhandlung Prosa mitgebracht.
Es beginnt mit einem Treffen im Februar 1933: 24 Hochrangige Vertreter der deutschen Industrie kommen auf Einladung des Reichstagspräsidenten Göring zu einem Treffen mit Adolf Hitler, damals schon Reichskanzler. Hitler möchte für die bevorstehenden Wahlen am 5. März die finanzielle Unterstützung für seine NSDAP, um “mit einem schwachen Regime Schluß zu machen.” Wie die Geschichte weiterging, ist allgemein bekannt. Einen großen Teil des Buches nimmt dann der “Anschluß” Österreichs an das deutsche Reich ein, bevor am Ende des Buches noch einmal Gustav Krupp und sein Sohn Alfried in den Mittelpunkt rücken.
Ich fand das ein hochinteressantes Buch. In kurzen Episoden beschreibt Éric Vuillard historische Zusammenhänge und zeigt auf, daß manches anders hätte laufen können. Was wäre zum Beispiel gewesen, wenn die deutschen Großkonzerne Beyer, Krupp, Opel, Allianz, Siemens und wie sie alle heißen, den Wahlkampf der NSDAP nicht unterstützt hätten? Was wäre passiert, wenn der österreichische Kanzler mutiger gewesen wäre? Dabei erzählt Vuillard gut lesbar, manchmal mit einem gewissen Srakasmus und ich habe viel gelernt – dabei dachte ich, ich wüsste schon einiges!
Geradezu erschreckend jedoch fand ich die Aktualität des Buches. Wenn zum Beispiel erwähnt wird, daß die deutschen Firmen ihre Panzer im Ausland mithilfe von Briefkastenfirmen produzierten, weil ihnen der Versailler Vertrag die Herstellung in Deutschland untersagt wird. Aber auch, wie die deutschen Politiker mit Bluffs agierten: Ribbentropp zieht ein Abendessen gekonnt in die Länge, um Chamberlain davon abzuhalten, auf den Einmarsch in Österreich zu reagieren. Ein Einmarsch übrigens, der gnadenlos schief geht, weil die Panzer im Schlamm stecken bleiben, aber in den Wochenschauberichten ist davon natürlich nichts zu sehen. Ich fühlte mich immer wieder an die momentanen politischen Verhälntisse erinnert: Schwache, ausgelaugte Volksparteien, vor allem mit sich selbst beschäftigt, ein ungeheurer Einfluß der Wirtschaft, der es nur um Gewinnmaximierung geht, populistische Parteien und Politiker, die eine Stimmung der Unsicherheit ausnützen für ihre Machtgelüste.
Fazit: 118 Seiten, die es in sich haben! Ein Buch, das Geschichte pointiert und ganz anders erzählt, als ich es bisher jemals gelesen habe und das mich so noch einmal angeregt hat, ganz anders hinzuschauen, auf das, was passiert ist und auf das, was gerade passiert. Leseempfehlung!
In der Presse ist das Buch überwiegend positiv aufgenommen worde, aber es gab auch Kritik. Einen Überblick über die Pressestimmen finden Sie hier
Wenn Sie das Buch selbst lesen möchten, können Sie es in den verschiedenen Editionen bei buch+musik in Stuttgart-Vaihingen zur Abholung oder zum Download bestellen.