Auf dieses Buch wurde durch eine Rezension aufmerksam, die besonders auf den feministischen Aspekt einging. Das machte mich neugiereig und ich bedanke mich beim Manesse Verlag, der mir ein kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Im Mittelpunkt des 1883 unter männlichem Pseudonym erschienen Romans stehen 3 junge Leute: Em, Lyndall und Waldo. Sie alle leben auf einer Farm in Südafrika, die von Tant‘ Sannie, einer Burenfrau, geführt wird. Sie ist die Witwe eines Engländers, dem die Farm gehörte und Em, die Tochter des Verstorbenen ist die Erbin der Farm. Lyndall ist ihre Cousine und Waldo der Sohn des tief gläubigen, gütigen, wenn auch etwas einfältigen deutschen Verwalters Otto. Während Em eines Tages die Farm erben wird, ist ihre Cousine mittellos und weiß schon als 12jährige, daß „in dieser Welt nur seinen Weg macht… wer sehr klug ist und alles weiß – wer gescheit ist.“ Waldo wiederum ist geplagt von religiösen Fantasien und Glaubensfragen. Wir begleiten die drei jungen Leute auf ihrem Weg. Lyndall die von elfenhafter Schönheit ist, geht ins Internat und wird zu einer unabhängigen jungen Frau, die nach der Liebe sucht, sich jedoch allen Konventionen verweigert. Em, die sanftmütige junge Erbin verliebt sich in den englischen Farmer Gregory, der jedoch sein Herz an Lyndall verliert. Und Waldo verlässt die Farm, um in der Fremde neue Erfahrungen zu machen.
Ich habe mich nicht ganz leicht getan mit dieserm Buch, obwohl es sich gut liest und mich seine sehr schönen, stimmungsvollen Natur- und Landschaftsbeschreibungen sehr angesprochen haben. Immer wieder jedoch kommen längere Passagen inbrünstiger, fast ekstatischer religiöser Gedankenströme, die mir vollkommen fremd blieben. Im Nachwort von Doris Lessing zur Neuausgabe des Romans 1968 ist zu lesen, daß Olive Schreiner, die als Tochter eines Missionarsehepaars aufwuchs, schon als Kind von Glaubenszweifeln geplagt wurde, was sicherlich diese Teile des Romans erklärt.
Die schöne Lyndall ist die zentrale Figur des Romans und sie entwickelt sich zu einer selbstbewussten Frau, die mit allen Konverntionen bricht. „Könnte ich doch nur in der Zukunft noch einmal auf die Welt kommen! Dann ist man vielleicht nicht mehr von Geburt an gebrandmarkt.“ sagt sie nach ihrer Rückkehr aus dem Internat einmal zu Waldo. Eine Frau mit scharfem Verstand ist in ihrer Zeit nicht gewünscht. Sie will Unabhängigkeit um jeden Preis, weigert sich, ihren Geliebten zu heiraten, selbst als sie schwanger von ihm ist und bezahlt ihren unbedingten Willen zur Freiheit letztendlich mit dem Leben. Em hingegen ist das Gegenteil, sanftmütig und gütig, sie ist glücklich, als Gregory sie um ihre Hand bittet, ahnt aber schnell, daß Lyndall die Frau sein wird, die er eigentlich lieben wird. Als sie merkt, daß es tatsächlich soweit ist, löst sie von sich aus die Verlobung, während Lyndall von ihm nichts wissen will, denn er ist ihr kein ebenbürtiger Partner. Diese Passagen des Romans fand ich wirklich spannend, die Ansichten von Lyndall hochmodern und immer noch aktuell. Ich fürchte, auch im 21. Jahrhundert würde sie sich noch schwer tun, selbst wenn sich die Situation der Frauen von heute nicht mehr mit ihrer Lage vergleichen lässt. Ich vermute, daß sich in ihr manches aus der Persönlichkeit der Autorin wiederfindet.
Neben den 3 jungen Menschen gibt es aber auch noch andere Figuren, die sich einprägen: Die dicke, lebensfreudige Tant‘ Sannie, die immer wieder einen Mann findet, der sie heiratet, den Hochstapler Bonaparte Blenkins oder den herzensguten, naiven Otto.
Gewöhnungbedürftig waren viele Ausdrücke wie nigger, kaffir oder hottentot, die wir heute nicht mehr verwenden, weil sie als abwertend gelten. Die Neuübersetzung von Viola Siegemund halte ich, soweit ich das beurteilen kann, für absolut gelungen. Im Nachwort geht der Verlag dankenswerterweise ausführlich auf die Frage ein, wie man in postkolonialen Zeiten zu einer adäquaten Übersetzung kolonialen Sprechens kommen kann. Ich habe mir diese Editorische Notiz vor der Lektüre durchgelesen ebenso wie das Nachwort von Doris Lessing – beides hat mir den Zugang zum Roman erleichtert. Was ich jedoch vermisst habe, ist ein kompakter Überblick über das Leben dieser hochinteressanten Autorin, die in Südafrika hohes Ansehen genießt: Seit 1964 wird dort der Olive Schreiner Prize an junge, talentierte Autor*innen verliehen. Sie war eine Frauenrechtlerin, die sich für das Frauenwahlrecht, auch für das der schwarzen Frauen, einsetzte. Vieles lässt sich im Nachwort von Doris Lessing nachlesen, allerdings ist dieses Nachwort inzwischen bereits über 50 Jahre alt. Wenn sich ein Verlag dankenswerter Weise schon die Mühe macht, ein so wichtiges Buch neu zu übersetzen, wäre, ohne Doris Lessing zu nahe treten zu wollen, ein aktuelles Nachwort schön gewesen.
Fazit: Eine wirklich interessante Lektüre, bei der sich mir nicht alles erschlossen hat, die mich aber dennoch gefesselt und bereichert hat und teilweise auch erstaunt. Außerdem ist es, wie immer bei den Ausgaben des Manesse Verlages, ein schön gestaltetes Buch!
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Eine biographischen Überblick über Olive Schreiners Leben finden Sie hier
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