Tatort: Schwäbische Alb
Man möchte ja ungern ständig den Herrn Brunetti als Vergleich heranbemühen – als ob es nicht auch noch ein paar andere gelungene Figuren im Genre des Kriminalromans geben würde…
Der Hauptkommissar Berndorf ist nämlich so eine durchaus gelungene Figur. Er ist im schwäbischen Ulm zu Hause und seine Fälle führen ihn immer wieder auf die Alb, die Schwäbische. Die ist im Vergleich zu Venedig von eher rauhem Charme und im Winter willkommener Garant für gemäßigte Schneevorkommnisse, aber dafür stinkt’s hier nicht so während der warmen Jahreszeit. Berndorf hat natürlich auch ein Privatleben, das sich aber relativ dezent im Hintergrund hält. Angenehm auffällig ist des Kommissars Interesse an Literatur, und die Tatsache, daß er Robert Gernhardt im Bücherregal stehen hat, macht ihn geradezu sympathisch. Dann wäre da noch eine verhaltene Neigung zu gutem Whiskey und den Gedankengängen des französischen Philosophen Michel de Montaigne zu konstatieren. Ihm zur Seite steht die junge Kommissarin Tamar Wegenast, die ihren Vorgesetzten Berndorf zwar durchaus kritisch gegenüber steht, die aber, wenn es darauf ankommt, der beruflichen Erfahrung des Dienstälteren den Vortritt gibt.
Der Fall: der lebenslänglich inhaftierte Thalmann bricht auf spektakuläre Weise aus der Vollzugsanstalt Mariazell aus. Kurz darauf wird ein Jurist ermordet aufgefunden. Er war mit dafür verantwortlich, daß Thalmann wegen Mordes an seiner Frau verurteilt wurde. Thalmann aber hält sich nach wie vor für das unschuldige Opfer eines Komplotts, bei dem gewisse Psychopharmaka eine wesentliche Rolle spielen. Er will Rache, und Berndorf samt schwäbischem Polizeiaparat müssen nun versuchen, den nächsten Juristenmord zu verhindern. Das klappt leider nicht ganz und flugs hat die Ulmer Polizei eine Stuttgarter Sonderkommission am Hals. Der Fund einer Leiche in einem Steinbruch bei Ulm macht die Sache nur noch komplizierter. Der Tote gibt nämlich einige Rätsel auf, zumal sich der anfängliche Verdacht auf Selbstmord nach der Obduktion rasch wieder zerschlägt. Der aus Görlitz stammende Heinz Tiefenbach war nämlich mit gewissen Psychopharmaka vollgepumpt. Kommissar Berndorf wittert Zusammenhänge zwischen Thalmanns Komplottgedanken und der Leiche aus Görlitz. Aber erstmal müssen Beweise her. Die Spur führt Berndorf quer über die Schwäbische Alb, nach Tübingen und sogar nach Tel Aviv. Sie führt ihn zurück bis in den zweiten Weltkrieg. Die Spur ist sogar so heiß, daß sie erstaunlich rasch zu weit führt: nämlich zu einer Dienstsuspendierung Berndorfs. Einflussreiche Leute in Politik und Wirtschaft fürchten plötzlich um ihren Ruf.
\”So wunderbar ist die Gewalt des Gewissens, daß wir uns selbst verraten und anklagen und selbst gegen uns aussagen, wenn kein anderer Zeuge da ist.\” Diese Worte von Montaigne hat sich der Mörder von Tiefenbach leider nicht zu Herzen genommen. Kommissar Berndorf bleibt nichts anderes übrig, als sich hartnäckig auf die Suche nach dem Schuldigen zu machen – Suspendierung hin oder her!Ein überaus spannender und wohldurchdachter Krimi, der den Vergleich mit Brunetti, Wallander & Co. in keinster Weise zu scheuen braucht. Ulrich Ritzel hat einen wunderbaren Sinn für Situationskomik und garantiert somit echtes Lesevergnügen. Eine Bitte zum Schluß: Die Hoffnung auf baldigen Nachschub will nicht enttäuscht werden!