Anne B. Ragde ist Norwegerin, Jahrgang 1957 und sehr beliebt in ihrer Heimat. Sie hat u.a. einige erfolgreiche Kriminalromane und Jugendbücher geschrieben, die teilweise auch in deutscher Sprache erschienen sind.
Ihr neuester Roman ist ein sogenannter Familienroman. Die Heimat dieser Familie ist ein alteingesessener Hof in der Nähe von Trondheim, mitten in der norwegischen Provinz. Die Autorin stammt übrigens selber von einem Hof und wollte schon lange ein Buch schreiben, das auf einem Bauernhof spielt. In diesem speziellen Fall handelt es sich allerdings um eine Familie, in der die Verhältnisse alles andere als geordnet sind. Man kann sogar sagen, dass die Familienmitglieder teilweise verfeindet sind oder zumindest nicht mehr miteinander reden.
Ich stelle Ihnen die Familienmitglieder vor mal kurz vor:
Anna ist die alte Bäuerin, die zusammen mit ihrem Mann auf dem Hof lebt. Sie scheint eine kaltherzige, missgünstige Person zu sein, die ihren Mann wie Luft behandelt und es geschafft hat, zwei ihrer Söhne vom Hof zu vertreiben.
Der eine heißt Erlend und ist gleich nach Kopenhagen geflohen. Er wurde von der Mutter nicht akzeptiert, weil er ein sogenannter „Männermann“ ist, sprich, er ist schwul, lebt mit seinem Freund Krumme zusammen und arbeitet als Schaufensterdekoteur.
Der zweite heißt Margido, arbeitet als selbständiger Bestattungsunternehmer und hat nach einem Streit mit seinem Vater den Kontakt abgebrochen, obwohl er in der Nähe des Hofes lebt.
Der dritte Sohn heißt Tor und lebt noch auf dem elterlichen Hof. Er ist Schweinezüchter von Beruf und völlig vernarrt in seine Tiere. Er hat ein Geheimnis, nämlich seine Tochter Torunn, die in Oslo lebt und von der kein anderes Familienmitglied weiß. Er selber hat sie auch nur einmal gesehen, denn Anna, die Bäuerin, hatte damals auch die Freundin ihres Sohnes nicht akzeptiert und so wurde auch diese aus der Familie getrieben.
Jetzt denken Sie bestimmt, na, diese alte Bäuerin scheint ja ein äußerst unsympatischer Mensch zu sein. Aber man sollte nie zu früh urteilen.
Die Geschichte kommt ins Rollen, weil diese alte Bäuerin nach einem Schlaganfall im Sterben liegt. Ihr Sohn Tor beschließt, seine Brüder und auch seine Tochter zu benachrichtigen, damit alle wenigstens die Möglichkeit haben, die Mutter bzw. Großmutter noch einmal bzw. überhaupt einmal sehen könnten.
Und tatsächlich, nach anfänglichem Zögern, setzen sich alle in Bewegung und reisen nach Trondheim. Mit verständlicherweise sehr gemischten Gefühlen. Die nun folgenden Begegnungen zwischen Menschen, die sich von einander abgewandt haben bzw. sich überhaupt erst kennen lernen, wird zu einer spannenden Geschichte, die in der Auflösung eines schmerzlichen Familiengeheimnisses gipfelt, das an dieser Stelle natürlich nicht verraten wird.
Jetzt denken Sie wahrscheinlich, das klingt ja alles ziemlich deprimierend, so typisch skandinavisch eben. Das stimmt aber nur zum Teil!
Die Autorin hat nämlich einen sehr warmherzigen, lebensklugen, immer wieder sehr humorvollen, aber eben auch einen traurigen und tragischen Roman geschrieben. Sie hat die handelnden Personen so liebevoll und überzeugend gezeichnet, mit all ihren Fehlern und Schrulligkeiten, dass man sie als Leser richtig lieb gewinnt und mit großem Bedauern die letzte Seite dieses Buches liest.