Nach 3 Monaten Coronapause traf sich Ende Juni der Lesekreis auf der Rohrer Höhe wieder. Zwar unter Auflagen und mit ungewohntem Abstand, aber das war kein Hindernis für einen regen Austausch!

Dr Inhalt

Ich wähle wieder die Inhaltsangabe des Verlages: „Nagasaki, Anfang der Fünfzigerjahre: Die Zerstörungen des Krieges sind der Stadt immer noch anzusehen, doch zwischen den Ruinen entstehen bereits neue, moderne Hochhäuser. In einem von diesen lebt Etsuko, zusammen mit ihrem Mann Jiro. Während dieser verbittert versucht Karriere zu machen, kümmert sich Etsuko um den Haushalt. Unterhaltung hat sie wenig, oft steht sie am Fenster und beobachtet, wie sich die Welt um sie herum verändert. Eines Tages zieht eine Frau in die Holzhütte unten am Fluss ein, zusammen mit ihrer kleinen Tochter. Etsuko freundet sich mit den beiden an und muss bald feststellen, wie ihre Nachbarin über ihrem Traum vom Glück mit einem amerikanischen Soldaten mehr und mehr und mehr ihr Kind vergisst.“ (© Heyne Verlag)

Meine Meinung

In einer der ganz wenigen Rezensionen, die im Netz zu finden sind, ist zu lesen, daß dieser bereits 1982 erschienene Roman von Ishiguro sein japanischster sei. Und so hatte ich eine Art Déjà-vu und erinnerte mich an den Roman von Marion Poschmann „Die Kieferninseln“, der ebenfalls in Japan spielt und mit dem ich mich schwer tat. Japan ist mir eben leider doch recht fremd und ich freute mich auf den Abend und den Austausch, von dem ich mir erhoffte, manches besser zu verstehen. So war es auch dieses Mal. Manches, was nicht nur mir rätselhaft erschien, blieb es, anderes konnten wir klären.

Mit der Geschichte von Etsuko tauchen wir tief ein in die Nachkriegszeit. Noch ist Japan besetzt von den Amerikanern, die Einwohner von Nagasaki sind traumatisiert, denn es gibt kaum eine Familie, die nicht Angehörige im Bombeninferno verloren hat. Aber es gibt auch Hoffnung, die Wirtschaft boomt und die jüngere Generation begehrt auf gegen die strenge japanische Tradition. Auch in Etsukos Familie zeigt sich dieser Generationenkonflikt zwischen ihrem Mann und dessen Vater. Das Paar erwartet sein erstes Kind und während Jiro auf Arbeit ist, freundet sich Etsuko mit der Frau an, die in eine Hütte neben der Siedlung einzieht. Immer wieder passt sie auf die Tochter von Sachiko auf, während diese sich mit ihrem amerikanischen Freud trifft. Mariko ist schwierig, oft aggressiv und ganz offensichtlich traumatisiert. Als Sachiko mit ihr und dem Amerikaner in dessen Heimat gehen möchte, wehrt das Kind sich mit Händen und Füssen dagegen.

Das alles erzählt Ishiguro in einer ruhigen Sprache. Vieles wird nur angedeutet, so wie in Japan vieles auch nicht offen ausgesprochen wird. Die Schachpartien, die Jiro und sein Vater während eines ausgedehnten Besuches miteinander spielen, sind nur Fassade für eine ganz andere Auseinandersetzung. Auch Etsuko zeigt sich gegen Ende des Romans von einer ganz anderen Seite, die auf das bisher Erzählte ein völlig neues Licht wirft. Eingebettet ist diese Erzählebene in eine Rahmenhandlung: Etsuko lebt in England, ihr zweiter Mann ist tot und ihre Tochter aus erster Ehe, Keiko, hat sich vor kurzem das Leben genommen. Etsuko und ihre Tochter aus zweiter Ehe, Niki, verbringen 5 Tage miteinander, in denen sich Etsuko zurückerinnert an die Zeit in Nagasaki, jedoch ohne mit Niki darüber zu sprechen. Warum Etsuko Japan verlassen hat, was mit ihrem ersten Mann geschehen ist – all das erfahren wir nicht, wir können uns lediglich aus Andeutungen Gedanken machen. Ob diese Gedankenspiele jedoch zutreffen, das erfahren wir nicht.

Fazit: In der Tat – ein sehr japanischer Roman. Aber in interessantes Stück Literatur über den Bruch alter Traditionen, über traumatisierte Menschen, Trauer und Schuld. Lesenswert für alle, die bereit sind, sich auf eine ganz andere Kultur einzulassen. 

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