Dieses Buch habe ich seit seinem Erscheinen 1999 regelmäßig an Schüler*innen und Schulen verkauft. Ich wusste zwar ungefähr worum es geht, habe es aber nie gelesen. Meine Teilnahme am Lesekreis in Rohr hat mich nun endlich zur Lektüre gedrängt.
In einer vielleicht nicht allzufernen Zukunft leben Iris und Siri. Sie sind Mutter und Tochter, aber auch Zwillingsschwestern, denn Siri ist die geklonte Tochter von Iris. Iris ist eine begnadete Pianistin und Künstlerin. Als sie mit 30 Jahren die Diagnose Multiple Sklerose erhält, ist sie verzweifelt, denn ihr ist klar, daß die Krankheit sie zwingen wird, ihre Karriere irgendwann aufzugeben. Als sie einen Bericht über einen kanadischen Wissenschaftler liest, der erfolgreich Säugetiere geklont hat, ist sie elektrisiert: Sie will sich klonen lassen, um so ihre Kunst in ihrer Tochter weiterleben zu lassen. Mortimer Fisher ist begeistert, daß sich ein Mensch für diesen Versuch zur Verfügung stellt und begleitet von einer breiten Öffentlichkeitsarbeit kommt Siri nach 9 Monaten zur Welt. Iris‘ Plan scheint aufzugehen, aber sie hat ihre Rechnung ohne ihre Tochter gemacht, die, je älter sie wird, verzweifelt nach ihrer eigenen Identität sucht.
Der Roman wird konsequent aus der Perspektive von Siri erzählt. Sie entwickelt sich, wie von Iris geplant, zu einer hochbegabten Pianistin. Schon als Kleinkind geht sie nicht wie andere Kinder ihres Alters in den Kindergarten, sondern erhält Musikunterricht. Iris ist viel unterwegs, um Konzerte zu geben, deshalb wird Siri von einer Kinderfau betreut, die sie Dada nennt. Mit deren Sohn Janeck verbindet sie bald eine enge Freundschaft. Janne, wie sie ihn nennt, ist wie ein großer Bruder für sie, obwohl Iris das nicht gutheißt. Je älter Siri wird, desto mehr beginnt sie unter dem komplizierten Verhältnis zu ihrer Mutter zu leiden: Einerseits liebt sie ihren Mutterzwilling sehr, das Ichdu – Duich – Spiel spielen beide mit Begeisterung. Andererseits leidet sie immer mehr unter der Vorstellung, nur deshalb zu leben, um das Leben ihrer Mutter weiterzuleben, ohne zu wissen, wer sie selbst eigentlich wirklich ist.
Iris erleben wir nur durch die Beschreibung von Siri. Sie ist eine vollkommen auf sich bezogenen Künstlerin, die ihre Tochter liebt, der es aber vor allem darum geht, mit ihrer Kunst in ihr weiterzuleben. Als ihre Mutter die Enkelin einmal als Monster beschreibt, ist dies der erste Bruch zwischen Mutter und Tochter, denn Iris versucht, den Streit herabzuspielen und entzaubert sich damit in den Augen ihrer Tochter. Als Siri Jahre später beim ersten gemeinsamen Konzert versagt, ist das für beide Frauen eine Katastrophe und der Beginn einer rigiden Abnabelung Siris von ihrer Mutter. Hierbei erfährt sie von Janne große Untersützung, er ist der große Bruder, der ihr hilft, einen eigenen Weg zu finden.
Bei diesem Roman handelt es sich um einen Jugendroman, der 2000 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet wurde. Das muss man wissen, wenn man sich an die Lektüre macht, denn manches in ihm hat auf mich doch recht plakativ gewirkt. Er ist sehr nüchtern geschrieben und ich konnte für keinen der Hauptportagonistinnen auch nur einen Hauch von Sympathie entwickeln. Das ist jedoch nur konsequent, denn schließlich sind die Motive von Iris, sich klonen zu lassen, purer Egoismus, daß sie ihre Tochter Siri nennt, also ihren eigenen Namen einfach umdreht drückt das auch nach außen aus. Darüber, wie sich ihr Klon fühlen wird, machen sich weder Iris noch Mortimer Fischer irgendwelche Gedanken.
Und genau das erfahren wir von Siri: Je älter sie wird, desto mehr wird ihr bewußt, daß ihre Mutter sie nicht wirklich liebt, sondern daß sie dazu da ist, Iris‘ Leben weiterzuleben. Der Konflikt mit Siri’s Großmutter entzündet sich daran, daß diese plötzlich merkt, daß sie eigentlich die Mutter von Beiden ist, denn Iris gibt es zweimal. Siri beginnt, sich zu fragen, wer sie eigentlich wirklich ist und je älter sie wird, desto mehr ähnelt sie ihrer Mutter. Das geht so weit, daß sie sich in den Freund von Iris verliebt, der mit der doppelten Ausgabe von Iris zunehmend Schwierigkeiten hat. Aber auch Iris leidet darunter, selbst körperlich zu verfallen und stets sich selbst als blühender jungen Frau gegenüber zu stehen. Siri wird zur selben Egoistin, wie sie Iris und emanzipiert sich von ihrer Mutter, indem sie eine ganz eigene Kunst entwickelt. Ganz frei fühlt sie sich jedoch erst nach deren Tod.
So sehr mich die Personen in diesem Roman kalt gelassen haben, so sehr beschäftigte mich das Thema. Wie weit darf Wissenschaft gehen? Können Klone ihre eigene Identität entwickeln, auch wenn er genetisch identisch mit dem Menschen ist, von dem die Zelle stammt? Oder sind sie, wie der Titel des Buches ausdrückt, nur eine Kopie? Wie sind die Motive einzuordnen, Menschen zu klonen – besteht nicht die Gefahr, daß sie zu Lieferanten von Organen zur Transplantation werden? Diese Fragen behandelt der Roman gut lesbar. Dabei merkt man, daß Charlotte Kerner Erfahrung als Wissenschaftsjournalistin hat und sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Sie hat bereits eine Reihe von Biographien für Jugendliche veröffentlicht und das färbt auch auf dieses Buch ab: Ich habe sie letztendlich eher als eine fiktive Biographie aus der Zukunft gelesen, denn als Roman. Gut gefallen hat mir ihre sprachliche Kreativität: Mutterzwilling, Muzwi, Klonelter – auch in der Sprache drückt sich aus, wie tief der Eingriff in die Natur ist.
Fazit: Ein wirklich anregendes Buch, das gerade jetzt wieder eine bestürzende Aktualität hat und das nicht nur Jugenldiche, sondern auch Erwachsene einladen kann, sich mit dem Thema Klonen etwas intensiver zu beschäftigen!
Wenn Sie Lust bekommen haben, das Buch zu lesen, können Sie es bei der Buchhandlung buch+musik in Stuttgart-Vaihingen zur Abholung bestellen.
Eine lesenswerte, informative Zusammenfassung zum Thema Klonen und bioethischen Fragen dazu finden Sie auf der Seite der Bundeszentrlae für politische Bildung