Aus Wittwer wird Wittwer-Thalia
Diese Nachricht hat mich gestern schockiert: Wittwer verkauft an Thalia. Hätte ich meine Buchhandlung noch, wäre das heute DAS Gesprächsthema im Team und mit den Kund*innen gewesen.
Dabei hätte es mich eigentlich gar nicht so überraschen müssen: Daß auch Wittwer unter dem Rückgang der Kundenfrequenz auf der Königsstrasse leidet, war ein offenes Geheimnis. Die geänderte Konkurrenzsituation (Osiander neben 2 weiteren Filialen jetzt im ehemaligen Hauflerhaus, Hugendubel im Dorotheequartier) machte die Sache sicher auch nicht einfacher. Und das Ergebnis einer kürzlich vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels veröffentlichte Studie besagt, daß 2012 – 2016 6,1 Millionen Buchkäufer*innen verloren gegangen sind. Zum ersten Mal konstatieren Leserbefragungen übrigens auch, daß nicht nur die Zahl der Buchverkäufe zurück geht, sondern auch die Leseintensität. Beides hat natürlich auch Wittwer gespürt.
Auswirkungen auf Sortimentstiefe und Verlage
Trotzdem macht mich das traurig, ist damit doch eine der ganz großen, traditionellen inhabergeführten Buchhandlungen in die Hände eines Filialisten übergegangen. Das wird Auswirkungen haben. Zum einen auf das Sortiment. Wittwer hatte bisher ein breites und gut ausgewähltes Sortiment. Thalia ist nicht unbedingt dafür bekannt, daß es in den Filialen ein wirklich breitgefächertes Sortiment gibt. Bestseller und Bücher, die sich möglichst vom Stapel weg verkaufen, dominieren, Bücher etwas abseits vom Mainstream, die auch empfehlungsintensiver sind, findet man eher selten.
Zum anderen stellt die zunehmende Konzentration im Buchmarkt auch die Verlage vor Herausforderungen: Der Zentraleinkauf (den übrigens Osiander und Hugendubel ebenfalls praktizieren) macht es dabei besonders kleinen und regionalen Verlagen schwer. Verständlicherweise können die Zentraleinkäufer*innen vor allem Titel, die in den Regionalverlagen erscheinen, in ihrer Bedeutung oft gar nicht einschätzen, so daß man in den Filialbuchhandlungen aller drei Ketten oft vergeblich danach sucht. Aber auch die anderen Independentverlage klagen immer wieder, daß es fast unmöglich ist, in die Regale von Thalia zu gelangen. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die Kette Konditionen fordert, die gerade für die kleinere Verlage kaum zu erfüllen sind. Vor einem Jahr ging vielen Verlagen ein Schreiben zu, das für Empörung sorgte: Thalia berechnete rückwirkend Werbekostenzuschüsse.
Zudem lehnt Thalia das System der Verlagsvertreter*innen ab – Thalia-Chef Michael Busch vertritt die Auffassung, daß zu viele Menschen über Dinge reden, „die man in digitaler Form schneller und effizienter erledigen kann.“ (Börsenblattinterview vom 17.5.2018) Ich bezweifle das – gerade Bücher sind eine Ware, die von der Begeisterung für die Inhalte lebt und diese Begeisterung kann zwar auch digital geweckt werden, aber mindestens ebeso stark im wechselseitigen Gespräch.
Was wird aus den Mitarbeitenden?
Zwar wird in der Presseerklärung auch von der Übernahme der Mitarbeiter*innen gesprochen, aber selbst wenn viele erst einmal bleiben können: Sie werden sich in einer neuen, anderen Kultur zurechtfinden müssen, das, was bisher an individuellen Gestaltungsspielräumen da war, wird weniger werden. Und es werden über die nächsten Jahre sicher weniger werden.
Übernahme alternativlos
Trotzdem verstehe ich die Inhaberfamilie Wittwer nur zu gut und hätte, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, vermutlich an ihrer Stelle genauso gehandelt: Irgendwann kommt man in ein Alter, in dem das Nachfolgeproblem drängend wird. Abseits von Filialisten einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, die eine Buchhandlung dieser Größenordnung in Zeiten wie diesen übernehmen kann oder will halte ich für ausgeschlossen. Also blieb kaum eine Alternative, wenn das Unternehmen und, wenigstens für einen Teil der Mitarbeitenden auch die Arbeitsplätze, erhalten bleiben sollten. Wäre die Buchhandlung nicht zu Teilen in der eigenen Immobilie gesessen, wäre dieser Schritt wahrscheinlich schon früher gekommen. Daß der Spaßfaktor bei solch einer Entscheidung gegen Null geht, darf bei einer solchen Entscheidung keine Rolle spielen.
Trotz aller Betroffenheit: Diese Entwicklung kann auch eine Chance sein für die engagierten Stadtteilbuchhandlungen, die es ja Gott sei Dank auch noch gibt in Stuttgart. Und es werden weiter Bücher verkauft auf der Königstrasse, möglicherweise sogar in viel breiterer Auswahl als befürchtet. Das ist, finde ich, ein wichtiges Signal!
Pressestimmen:
Börsenblatt – lesen
Interview mit Konrad M. Wittwer in der Stuttgarter Zeitung
Kommentar zum Zusammenschluss in der Stuttgarter Zeitung
Text und Bild: Susanne Martin