Manchmal verkehren sich die Rollen und es passiert, daß mir KundInnen Bücher empfehlen, die ich unbedingt lesen muss. So war es auch bei diesem Titel: Wir sprachen über lesenwerte Biographien und ich bekannte, nicht zu den eifrigsten Leserinnen dieser Literaturgattung zu gehören. „Aber dieses Buch gehört zu den lesenswertesen Biographien und außerdem ist es hochinteressant für alle, die sich für die Geschichte der Tschecholsowakei interessieren“ meinte mein Gesprächspartner.
Stimmt! Es ist ein wirklich lesenswertes und interessantes Buch, das die frühere amerikanische Außenministerin (1997 – 2001) da vorgelegt hat. Auch wenn es (meiner Meinung nach) weniger eine Biographie ist, als ein historisches Buch mit persönlichen Einsprengseln. Der englische Untertitel „A Personal Story of Remembrance and War, 1937 – 1948“ trifft diesen Sachverhalt sehr viel besser als der Untertitel der deutschen Ausgabe.
Verblüffend auch der Anlass für dieses Buch: Erst 1997 erfährt die Politikerin aufgrund der Recherchen eines Reporters der Washington Post, daß ihre Eltern Juden waren und daß drei ihrer Großeltern und viele weitere Angehörige von ihr im Holocaust ums Leben gekommen waren. Dies war der Grund für sie (und ihre Geschwister), umfangreiche Nachforschungen anzustellen über das Schicksal ihrer Familie.
Entstanden ist ein Buch, das die Person ihres Vaters als roten Faden nimmt. Schon als junger Mann gehört Josef Körbel zum Umfeld der demokratischen Exilregierung, die während des 2. Weltkrieges in London Schutz findet und sich für eine freie, demokratische Tschechoslowakei einsetzt. Hier lassen sich die Eltern auch katholisch taufen und ändern den Namen Körbel ab in Korbel. Warum, das können sie ihrer Tochter nicht mehr erklären, denn die erfährt erst 20 Jahre nach dem Tod von Vater und Mutter von ihren jüdischen Wurzeln.
Die kleine Madlenka kann sich logischerweise an ihre ersten beiden Lebensjahre in Prag nicht erinnern und ihre ersten persönlichen Erinnerungen gehen auf ihre Schulzeit in England zurück. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges kehrt die Familie nach Prag zurück, aber nur um kurz darauf nach Belgrad überzusiedeln, wo der Vater als Botschafter seines Landes arbeitet. Nach dem kommunistischen Staatsstreich 1948 muss die Familie Europa erneut verlassen und findet Aufnahme in den USA.
Wer sich für die Geschichte der Tschechoslowakei interessiert, vor allem über ihre Rolle in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, bekommt in diesem Buch einen sehr guten, detailreichen Überblick. Manchmal vielleicht sogar etwas zu detailreich – für meinen Geschmack jedenfalls. Die Balance zwischen der persönlichen, familiären Perspektive und der objektiven historischen wird gut gewahrt und immer wieder nimmt die Autorin auch Stellung und zwar aus ihrer gegenwärtigen Perspektive und mit dem Überblick, den sie selbst als amerikanische Politikerin hat. Das hat mir besonders gut gefallen. Dazu kommt eine wirklich einfühlsame Erzählweise, zu der sicherlich auch die Zusammenabreit mit Bob Woodward beigetragen hat. Ein Europäer oder eine Europäerin hätte auf manches sicher eine andere Sichtweise – ein wenig Verklärung im Hinblick auf ihren Vater und auch amerikanischer Idealismus schimmert immer wieder durch.
Dennoch: Für historisch Interessierte eine fesselnde Lektüre!