Das menschliche Gehirn ist ein Wunder der Natur. Finde ich jedenfalls. Und wenn man im Bekannten- oder Familienkreis erlebt, wie Krankheiten dieses Organs zu starken Einschränkungen und Behinderungen führen können, wird einem das nur noch mehr bewußt.
Auch nach der Lektüre von „Wahn“. Denn in diesem Buch erzählt der Neurologe und Sezialist für Hirnerkrankungen 12 fiktionalisierte Geschichten aus seiner Praxis. Da ist z.B. die Professorin, die an dem seltenen Phänomen leidet, sich keine menschlichen Gesichter merken zu können. Zwar kommt sie mit diesem Handicap meist gut zurecht, aber ein Flirt mit einem Unbekannten bringt sie in Gefahr. Die Eingangsgeschichte „Wahn“ erzählt von einem Mann, der sich ständig verfolgt und beobachtet fühlt, aber nur dann, wenn er seine Parkinsonmedikamente nicht in der richtigen Dosierung einnimmt. Oder auch die Geschichte des Kettenrauchers, der trotz Herzinfarkt nicht aufhören kann zu rauchen, bis sein Körper seine ganz eigene Methode findet, ihn dazu zu zwingen.
Christof Kessler erzählt spannend und in einer einfühlsamen aber dennoch präzisen Sprache. Die Schicksale, mit denen er konfrontiert wird, sind vielfältig, überraschend und machmal fast skurril. Dabei spürt man aber immer, daß es ihm nicht darum geht, voyeuristische Bedürfnisse seiner LeserInnen zu befriedigen, sondern darum, von Persönlichkeitsveränderungen zu erzählen, für die die Betroffenen nichts können.
Mich hat das Buch an die Geschichten von Ferdinand Schirach „Verbrechen“ und „Schuld“ erinnert. Es ist ein Buch, das man an einem Stück durchlesen kann oder das man sich häppchenweise zu Gemüte führen kann. Auf jeden Fall sind es Geschichten, die berühren und die man nicht so schnell vergisst!